Morley, Christopher: Das Haus der vergessenen Bücher

Weiter geht‘s mit der Geschichte rund um Helen und (inzwischen) ihren Mann, den Literaturliebhaber Roger Mifflin, wobei dieses Mal Roger Mifflin im Vordergrund steht.

Er ist inzwischen stolzer Besitzer eines Antiquariats in Brooklyn und ein Unikum in seinem Metier.

„Mein Geschäft unterscheidet sich von den meisten anderen. Ich handele nur mit gebrauchten Büchern, kaufe nur solche, von denen ich glaube dass sie eine wirkliche Daseinsberechtigung haben. Soweit menschliche Urteilskraft das entscheiden kann, versuche ich Schund von meinen Regalen fern zu halten. Ein Arzt handelt nicht mit den Tinkturen eines Quacksalbers. Ich handele nicht mit Büchern die vorgeben, mehr zu sein, als sie sind.“ (S. 27) Das ist eine der Grundüberzeugungen von Mifflin, der auf die wohltuende und heilsame Macht der Bücher schwört.

Den Vorschlag des Mittzwanzigers Gilbert, Reklame für seine Buchhandlung zu machen, lehnt Mifflin rigoros ab.

Trotzdem kommen der etwas schrullige Buchhändler und der engagierte Angestellte einer Werbeagentur miteinander ins Gespräch.

Kurze Zeit später nimmt Mifflin auf Wunsch seines Freundes hin dessen fast 19-jährige Tochter Titania in die Lehre, damit ihr in der Buchhandlung „ein Teil des Unsinns ausgetrieben wird, den sie im Internat gelernt hat“. (S. 36)

Titania Chapman bewohnt ab jetzt ein Zimmer im Hause des Ehepaars Mifflin, die dem Charme der jungen Dame in Windeseile erliegen. Sie bringt frischen Wind in die Buchhandlung und verdreht dem jungen Werbemann Gilbert den Kopf.

Es dauert nicht lange, bis eine mysteriöse Geschichte um ein Buch und eine romantische Liebelei um Titania und Gilbert den Leser fesseln.

Dass dabei der erste Weltkrieg und dessen Verarbeitung eine Rolle spielt, macht den Roman, der sich leicht und locker liest, zu einem süffigen Werk mit Tiefgang.

Sätze und schöne Formulierungen wie „Das Leben in einer Buchhandlung ist wie das Leben in einem Munitionslager. Die Regale sind angefüllt mit dem gefährlichsten Sprengstoff der Welt – dem menschlichen Geist.“ (S. 21) oder „Wenn man eine vermeintlich feststehende Tatsache aus einem neuen Blickwinkel betrachtet, kann man nur staunen, wie ihre Konturen plötzlich die Form ändern!“ (S. 24) machen die Lektüre zu einer literarischen Besonderheit.

„Das Haus der vergessenen Bücher“ ist eine Liebesgeschichte und eine originelle Kriminalgeschichte.

Es ist, wie bereits erwähnt, darüber hinaus auch eine intensive, aber unaufdringliche Auseinandersetzung mit dem gerade beendeten ersten Weltkrieg und ein Leckerbissen für Liebhaber der schönen Sprache.

Immer wieder, stößt man auf Sätze, die jedem Bücherwurm aus der Seele sprechen, wie z. B. „Das Paradies im Jenseits ist zwar ungewiss, fest steht aber, dass es einen Himmel auf Erden gibt, einen Himmel, den wir bewohnen, wenn wir ein gutes Buch lesen.“ (S. 22)

Die im folgenden zitierte wunderschöne Formulierung musste ich mehrmals lesen: „Er dachte nicht – er wurde gedacht. Er spürte, wie seine Gedanken mit dem unwiderstehliches Sog von Gezeiten, die von dem lockenden Mond angezogen werden, die gewohnten Bahnen verließen. Sein Wille, ein nackter, verlorener Schwimmer, versuchte mühsam, sich in diesem gleißenden Meer aus Emotionen vorzukämpfen, driftete aber immer mehr ab und hatte sich schon fast damit abgefunden, aufs offene Meer hinausgetrieben zu werden.“ (S. 92)

Bei aller Begeisterung muss ich jedoch auch erwähnen, dass es (wenige!) langatmige Phasen gab, die mich nicht fesseln konnten: Rogers Gedanken und Ansichten zum gerade überwundenen ersten Weltkrieg sind äußerst interessant, aber nachdem sie sich zu einem Monolog mit detaillierten literarischen Verweisen ausbreiteten, kam eine gewisse Langeweile bei mir auf. Wie gut, dass seine bodenständige Frau Helen ihn unterbricht.

Und das wiederum halte ich für einen Kunstgriff, denn der Autor schien zu ahnen, dass der „Nerd“ Mifflin hier über die Stränge schlägt.

Dieser spannende und interessante Roman ist der Folgeband zu „Eine Buchhandlung auf Reisen“ und erschien erstmals 1919.

Die etwas antiquierte und elegante Sprache, der lockere und ungekünstelte Schreibstil, die unterhaltsame Handlung, die vielen zum Nach- und Mitdenken anregenden Gedanken und die regelmäßigen Verweise auf Schriftsteller und Bücher machten den Roman für mich zu einer vergnüglichen, entspannenden und lesenswerten Lektüre, die obendrein was fürs Herz ist.

4,5/5 ⭐️

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