Wagamese, Richard: Das weite Herz des Landes

Gleich vorweg:

Dieser Roman von Richard Wagamese war für mich ein Highlight!

Der mehrfach ausgezeichnete kanadische Schriftsteller Richard Wagamese verstarb 2017 61-jährig. Er war indigener Herkunft und wurde schon in jüngsten Jahren wie viele Kinder indianischer Abstammung früh seiner Familie entrissen, um in nicht indigenem Umfeld erzogen zu werden.

In seinen Büchern schreibt er über erschütternde Themen der indigenen Ureinwohner Kanadas und verarbeitet er eigene schmerzhafte Erfahrungen.

Nachdem ich nun meinen ersten Wagamese verschlungen habe, liegen schon zwei weitere bereit: „Der gefrorene Himmel“ und „Der Flug des Raben“.

Jetzt erstmal kurz zum Inhalt: Der 16-jährige Franklin ist Indianer (Ojibwe) und lebt mit seinem alternden, nicht indigenen Vormund, der wie ein Vater für ihn sorgt, auf einer abgelegenen Farm im Hochland der kanadischen Provinz British Columbia. Der Alte bringt dem „grobknochigigen und kantigen“ Jungen, der „groß für sein Alter“ ist, (S. 12) alles bei, was man wissen muss, um in der Weite des Berglandes zu überleben. Von seiner Mutter weiß Franklin nichts und sein Vater Eldon, ein schwerstalkoholabhängiger Trinker, der sein Geld zuletzt als Holzfäller und Flößer verdient hat, lebt in der tristen und lauten Fabrikstadt Parson’s Gap im Tal, durch das der Nechako River fließt. Eines Tages im Spätherbst ruft der kranke Eldon seinen Sohn zu sich in sein schäbiges Zimmer, das sich in einem düsteren Wohnheim befindet. Franklin sattelt seine alte Stute und reitet in die heruntergekommene Gegend, in der sein Vater wohnt. Die beiden gehen in eine Kneipe und dort rückt Eldon mit der Sprache heraus: Seine Leber sei dabei, zu versagen. Er sei dem Tode geweiht und er wolle, dass sein Sohn Franklin ihn ins 60 km entfernte Hinterland bringe, weil er dort von ihm nach Indianerart begraben werden wolle. Nach einigem Hadern und Zögern stimmt Franklin zu und die beiden machen sich auf den Weg. Vater Eldon auf der Stute, Sohn Franklin zu Fuß. Im Folgenden begleiten wir die beiden auf ihrer beschwerlichen Reise durch die beeindruckende Natur der Bergwelt British Columbias und lauschen den Erzählungen Eldons aus dessen Leben. Gleichzeitig erfahren wir in Rückblicken davon, wie Frank von frühester Kindheit an bei seinem Ziehvater aufgewachsen ist und wie er ab seinem siebten Lebensjahr seinen Vater Eldon nach und nach kennengelernt hat.

Schon nach wenigen Seiten hat der Autor mich mit seiner ruhigen und atmosphärischen Geschichte gepackt.

Eindrücklich und in wunderschöner Sprache beschreibt er Landschaft, Tierwelt und Wetter seiner Schauplätze. Ich bekam einen wunderbaren Eindruck vom harten und rauen Leben und von der Naturverbundenheit der Protagonisten.

Ich hatte das Gefühl, mittendrin zu sein und den spärlichen und wortkargen Dialogen der Männer zu lauschen.

Der Roman wurde dabei immer packender. Ich konnte ihn letztlich kaum mehr aus der Hand legen; wollte unbedingt wissen, was da noch an Geheimnissen und Tabus aufgedeckt wird.

Wagamese benutzt wunderbare Bilder und Metaphern und schreibt derart berührend, detailliert, schonungslos und psychologisch stimmig, dass ich das Buch am Ende beeindruckt zuklappte.

Nun ein paar Eindrücke und Zitate:

Die Szene, in der Frank mit nur neun Jahren seinen ersten Hirsch erlegt, ist atemberaubend. Es ist so, als stünde man knapp daneben und halte die Luft an, um das Geschehen nicht zu stören. (S. 46ff)

Den folgenden kurzen Dialog fand ich bedeutungsvoll und gekonnt, streift er doch den schmalen Grad zwischen Traurigkeit und Depression: „„Er kommt mir traurig vor.“ -„Ziemlich traurig. Traurigkeit ist nicht schlimm, außer, sie hat dich ganz im Griff und lässt dich nicht mehr los.““ (S. 68)

Noch zwei weitere Kostproben sollen veranschaulichen, was mir so gefallen hat:

„Er fühlte, wie die Worte in seinem Bauch rumorten und zuckten, wie Fische, die sich flussaufwärts kämpfen. Aber keines durchbrach die Oberfläche.“ (S. 76)

„Um die scharfe Klinge der Angst weiter zu schleifen, nahmen die chinesischen Scharfschützen den Grabenrand unter Beschuss und schrien dabei: „Kanada-Junge! Heute Nacht du tot.“ (S. 177)

Ich empfehle dieses Werk allen, die sich für Indianer, Familien- und Vater-Sohn-Geschichten interessieren.

Jeder, der gern unaufgeregte, bewegende, stimmungsvolle und psychologisch schlüssige Geschichten liest, in denen viel beschrieben und gleichzeitig Historisches vermittelt wird, wird „Das weite Herz des Landes“ mögen.

5/5 ⭐️

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