Teller, Janne: Nichts, was im Leben wichtig ist

Die Schülerin Agnes erzählt uns eine Begebenheit, die sich 8 Jahre zuvor ereignet hatte, als sie in der 7. Klasse war.

Pierre Anthon konfrontiert und provoziert seine Mitschüler mit seiner Erkenntnis, dass nichts im Leben von Bedeutung ist.

Das wollen die Anderen nicht so stehen lassen. Sie wollen diese Erkenntnis nicht als Wahrheit gelten lassen, werden aber für das Thema sensibilisiert, kommen ins Zweifeln und überlegen, wie sie die pessimistische Sichtweise ihres hartnäckigen Mitschülers widerlegen können.

Sie haben schließlich eine Idee: sie wollen bedeutsame Dinge anhäufen, um Pierre Anthon die Augen zu öffnen.

Was recht unverfänglich beginnt, artet letztlich aus. Aus einer konstruktiven Idee wird ein destruktives Unterfangen.
Es spitzt sich zu, es eskaliert.

Menschliche Abgründe zeigen sich:
Sadismus.
Rache.
Genugtuung.
Empathielosigkeit und emotionale Abstumpfung.
Gehässigkeit.
Zynismus.
Aggression.
Brutalität.
Unmenschlichkeit.

Thematisch geht es um die große Frage nach Sinn und Bedeutung.
Daneben spielen aber auch Phänomene wie Gruppendynamik und Gruppendruck, sowie die o. g. menschlichen Abgründe eine nicht geringe Rolle.

Jugendliche setzen sich mit diesen Themen auseinander und werden mit diesen Phänomenen konfrontiert. Und gerade deshalb sind sie empfänglich dafür.

Aber nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsene beschäftigen sich mit dem Sinn und der Bedeutung ihres Daseins und werden immer wieder mit Gruppendruck, also Anpassungstendenzen versus Individuationsbestreben konfrontiert.

Die Geschichte hat mich gepackt. Ich flog meist wie gebannt und manchmal fast atemlos durch die Seiten. Andererseits bzw. gleichzeitig hätte ich das Buch aufgrund von Grauen, Ekel und bedrohlicher Vorahnung oft am liebsten endgültig zugeschlagen.

Ich hätte gegen Ende am liebsten aufgehört, weiterzulesen, weil da immer diese Fragen im Hinterkopf waren: Wie geht das weiter? Was passiert da noch alles? Wo und wie endet das alles?

Mit Cliffhangern am Ende der Kapitel steigert Janne Teller die Neugier und treibt die Spannung in die Höhe.

„Das, was geschehen sollte, war ein notwendiges Opfer in unserem Kampf für die Bedeutung.“
(S. 97)

„Und wenn es nicht weh tun würde, wäre es ja auch nichts von Bedeutung.“
(S. 97)

Und dann, nach 100 Seiten stellte ich mir erstmals und ernstlich die Frage, ob dieser Roman, den ich bis dahin als unglaublich gut und eindringlich empfunden habe, wirklich geschrieben werden musste.

Erstmals konnte ich nun die herrschende Ambivalenz dem Roman gegenüber nachvollziehen.

Aber diese Zweifel verloren sich schnell wieder.
Es ist ein wichtiges Buch!
Es ist ein BEDEUTSAMES Buch!

Da steckt so viel drin, über das es sich lohnt, gründlich nachzudenken.
Es musste so brutal werden. Es musste das Innerste des Lesers berühren.
Denn nur emotionale Beteiligung bringt etwas ins Rollen.

Zwangsläufig machte ich mir Gedanken über Bedeutsames im Allgemeinen und bezogen auf mein Leben.
Und immer wieder landete ich bei der Erkenntnis, dass emotionales Berührtsein die Voraussetzung ist, um jemandem oder etwas Bedeutung beizumessen.

Emotionales Berührtsein und Bedeutsamkeit sind untrennlich miteinander verbunden.
Ein schwer depressiver Mensch fühlt sich wie gelähmt und innerlich leer. Er ist emotional nicht mehr berührbar und alles ist ihm gleichgültig.
Nichts hat mehr Bedeutung für ihn.

Und genau darin liegt die stichhaltige Gegenargumentation, die Pierre Anthons Aussage entkräftigt.
Für seine Mitschüler im Buch, aber auch für alle Leser liegt darin der „Gegenbeweis“.

Seine Mitschüler reagieren dermaßen emotional, leidenschaftlich und enthusiastisch.

Pierre Anthon und letztlich sich selbst zu überzeugen, hat eine große Bedeutung für sie.

Nur für jemanden oder etwas von Bedeutung kann man so viel emotionales Engagement und Tatkraft entwickeln.

Und da diese Gefühle und dieses Engagement wahrhaftig waren, ist es auch wahrhaftig, dass es BEDEUTUNG und SINN im Leben gibt.

Ein brillantes und fesselndes Werk mit philosophischen Fragestellungen und psychologisch interessanten und gut beschriebenen Beobachtungen – für Jugendliche und Erwachsene absolut lesenswert!

5/5⭐️

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