Banville, John: Die blaue Gitarre

Der fast fünfzigjährige Ich-Erzähler Oliver Otway Orme hat sich von seiner Ehefrau Gloria und dem befreundeten Ehepaar Polly und Marcus in sein Elternhaus zurückgezogen und hängt seinen Gedanken nach. Wir sitzen quasi in seinem Kopf und folgen auf ca. 350 Seiten diesen Gedanken, die in ihrer Gesamtheit eine Art Selbstbetrachtung, Résumé der vergangenen Jahre und Lebensbeichte darstellen.

Der Erzähler Oliver, ein ehemaliger Maler, der sich plötzlich seiner Begabung beraubt fühlt, lässt gleich auf den ersten Seiten die Bombe platzen: er sei ein Dieb. Er bagatellisiert die Vergehen und verniedlicht seine Taten, während er sich selbst überheblich zum Autolykos und Wunderkind erhöht. Außerdem habe er sich in Polly, die Frau seines besten Freundes Marcus verliebt und sie ihm gewissermaßen gestohlen.

Im Verlauf erzählt uns der mir zunehmend unsympathisch werdende Narzisst von seinen Gedanken und Gefühlen, seinem Leben, seiner Ehe, einem tragischen Schicksalsschlag, der Beziehung zum befreundeten Ehepaar, der Entwicklung seiner Verliebtheit und Affäre zu Polly und von noch einigem mehr.

Des Betruges und der Vergehen überführt, verändert sich der Ton im Verlauf. Erst eher locker-flockig und ironisch-sarkastisch, wird er später melancholischer, selbstmitleidiger und weinerlicher.

Oliver erzählt und lamentiert von Leere, Scheitern, Verlust, Gier, Starre, Lähmung, Angst und Tod. Selten berührt er mich und weckt mein Mitgefühl. Das liegt wohl daran, dass er nur beschreibt, feststellt und klagt, aber keinerlei Erkenntnis daraus zieht, Reue empfindet, oder Veränderung anvisiert.

Auf mich wirkte der Roman wie der schonungslose, wahre, irgendwie abstoßende und empörende, ab und zu amüsante und manchmal berührende Erguss eines einerseits selbstunsicheren und einsamen und andererseits selbstverliebten, egozentrischen und aufgeblasenen Mannes, der zu Selbstüberschätzung, Größenphantasien und Selbstmitleid tendiert. Die Nebenfiguren bleiben blasse Statisten, während Oliver um sich selbst kreist.

Obwohl meine Nerven und Geduld strapaziert wurden und die Lektüre daher teilweise anstrengend und kein wirkliches Lesevergnügen war, hege ich große Bewunderung für John Banville, da ich der Meinung bin, dass nur ein wirklich grandioser Autor das Innenleben und die äußeren Begebenheiten so vorzüglich sezieren, beschreiben und solch intensive, überwiegend aversive Gefühle beim Leser auslösen kann.

Die Sprache ist wunderschön. Seine Bilder und Metaphern regen die Phantasie an. Mit provokanten Aussagen löst er Empörung aus und zwingt er den Leser regelrecht zum Nachdenken, diskutieren oder widersprechen wollen.

John Banville schafft es, gleichzeitig ungläubige Verwunderung, Empörung, Fassungslosigkeit und Faszination hervorzurufen, indem er den Charakter des verantwortungslosen, unempathischen, unreifen, reflexions- und introspektionsfähigen, aber veränderungsresistenten, selbstbezogenen und selbstverliebten Oliver, der keine echte emotionale Beziehung zu anderen Menschen aufbauen kann und kaum Bezug zur Realität hat, derart detailliert, klar und ungeschönt zeichnet.

Wer Lust hat auf ein wirklich gelungenes Charakterportrait eines Menschen mit dem Motto „Das Leben ist ein Spiel, die Menschen und Dinge sind meine Spielsachen und mir gehört die Welt.“, der sollte diesen Roman lesen. Wer darüber hinaus eine recht interessante Lebensgeschichte mit überraschender Wende lesen möchte und gelassen genug ist, um sich auf all das vorher Beschriebene neugierig und offen einzulassen, dem sei dieses Buch empfohlen. Ich bereue keine Minute, es gelesen zu haben, aber es war keine kurzweilige und entspannende Lektüre.

4/5⭐️

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