Bauer, Veronika: Der Busführer

Schon die Zusammenfassung auf dem Buchrücken und der Prolog machten mich neugierig und als ich dann mit Lesen begonnen habe, konnte ich kaum mehr aufhören.

Es geht in dem Roman, der einen Verlauf nimmt, mit dem ich nie gerechnet hätte, um einen Busfahrer, der zusammen mit seiner Mutter in einem Wohnblock in Niederösterreich wohnt und dessen Leben eine komplette Kehrtwende macht, nachdem er seine Jugendliebe wiedergetroffen hat.

Der 46-jährige Busfahrer, ein Einzelgänger, dessen Leben seit Jahren „angenehm ereignislos dahinplätschert“ (S. 38), leidet von Kindesbeinen an unter seinem Namen.

„Adolf“ heißt er. So wollte es sein Vater.

Bescheiden und wunschlos soll er sein. Sagt seine Mutter, bei der er ja immer noch wohnt.

Und dann steigt eines Tages im Frühsommer Hanni, seine Jugendliebe, in den Bus.

Hanni, die sein Leben von jetzt auf gleich auf den Kopf stellt.

Hanni, die ihm ein Geheimnis verrät.

Schon auf den ersten Seiten bekommt man einen Eindruck vom Zusammenleben von Mutter und Sohn und eine Erinnerung Adolfs gibt uns Hinweise darauf, wie er aufgewachsen ist.

Beides ist ernüchternd, abschreckend und deprimierend. Man möchte nicht in Adolfs Haut stecken.

Nach und nach lernt man die kunterbunte und internationale Bewohnerschaft der Wohnanlage kennen, in der der übergewichtige Adolf mit seiner Mutter wohnt.

Die herzliche, lebenslustige und schrille Dunja, der Geselligkeit am Herzen liegt und die sich von ihrem miesepetrigen Mann nicht bremsen lässt, organisiert z. B. jedes Jahr ein Sommerfest, zu dem die gesamte Nachbarschaft erscheint und das Adolf in der Regel schwer im Magen liegt.

Durch den Einblick in seinen Arbeitstag bekommt man eine eindrückliche Vorstellung vom ruhigen, gutmütigen, schüchternen und braven Adolf, der Staus mag, weil sie etwas Meditatives an sich haben und der bedürftigen Menschen schon mal Fahrttickets für Einkaufswagen-Chips, Knöpfe oder Spielgeld verkauft und den fehlenden Betrag in der Kasse abends aus eigener Tasche begleicht.

Adolf hat einen langjährigen Kollegen, mit dem er die Mittagspausen verbringt. Bus-Bertl, der für sein Leben gern philosophiert, ist im Laufe der Zeit Adolfs einziger und bester Freund geworden. Neuerdings redet Bertl nicht mehr um den heissen Brei herum und legt auch schon mal den Finger in die Wunde, wenn er Adolf rät:„Das hier ist Dein Leben. Und es ist höchste Zeit, dass du einsteigst, Du hast Jahre im Wartehäuschen verbracht“ (S. 27)

Tja und dann, eines Tages – draußen tobt passenderweise ein Unwetter – steht, Hanni, seine Jugendliebe, in seinem Bus.

Ob das wohl ein Anlass sein könnte, den Rat seines Freundes Bertl zu befolgen, sein Leben in die Hand zu nehmen?

Dass dann plötzlich die Polizei wegen eines Vermisstenfalles ins Spiel kommt, steigert die Spannung schlagartig.

Nicht nur, dass ich mich frage, was Hanni so plötzlich von Adolf will und ob aus diesen beiden so unterschiedlichen Menschen gar ein Paar werden kann.

Jetzt stellt sich auch noch das Rätsel um Hannis Geheimnis, das sie Adolf verraten möchte und das Mysterium um den vermissten Mann.

So manche Formulierung hat mir richtig gut gefallen:

„Die Kunst ist, zu glauben, dass Du willst, was du musst.“ (S. 34) ist das Motto der Mutter

„Mit einer gepfefferten Prise Wahnsinn schmeckt der Alltag nicht so sehr nach Kantinenfraß“ (S. 123)

Dann stolperte ich über die wunderbare Beschreibung eines Jungen, der seinen Schulbus nicht mehr erwischt: „Dort vorne bog bereits das Postgelb des Schulbusses um die Ecke. Er rannte weiter. Äußerlich hektisch, innen matt. Alibischritte. Er hatte schon verloren. Noch dreißig Meter. Mit einem Zischen schloss der Bus die Türen und fuhr ruckartig an. Immer noch lief er, weil das Abbremsen mehr Energie kostete als das Weiterlaufen. An der Haltestelle ließ er sich auf die Bank fallen, atmete die rußigen Abgase, den Gestank des Versagens ein.“ (S. 230)

Nicht selten wurde mir ein Wiedererkennungs-Schmunzeln entlockt, z. B., als Adolf die Goldfolie einer Schokomünze entfernt und die Schokolade einen weiß-grauen Belag hatte. Eine Erinnerung an die eigene Kindheit 🙂

„Der Busführer“ ist eine äußert lesenswerte, tragisch-komische und berührende Geschichte voller Überraschungen, die bis zum Ende spannend bleibt.

Die 1978 geborene Österreicherin Veronika Bauer erzählt sie unaufgeregt und feinfühlig mit angenehmer, leichtfüßiger, lebendiger, bildhafter und z. T. poetischer Sprache.

Die Autorin zeichnet ihre Charaktere sehr anschaulich und vielschichtig, allen voran Adolf und die Polizistin Helga Zenz.

Mir gefällt dieser Roman, der gleichermaßen leise, melancholisch und humorvoll ist, sehr gut. Tiefgründige Gedanken laden zum Nachdenken ein, Manches ist so komisch, dass man schmunzeln muss. Dass die Autorin so manches überspitzt darstellt, fällt nicht negativ ins Gewicht.

„Der Busführer“ ist ein gelungener Roman, den ich sehr gerne weiterempfehle.

4,5/5 ⭐️

🇦🇹

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