„Hotel du Lac“ ist die Neuauflage eines Romans, der bereits 1984 erschienen ist und mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde.
September. Nachsaison.
Eine kleine verschlafene Stadt in der Schweiz.
Ein elegantes, aber unprätentiöses Hotel am Ufer des Genfer Sees.
Die 39-jährige Romanschriftstellerin Edith Hope will bzw. soll ihre „unglückliche Entgleisung“, „diese anscheinend schreckliche Sache“, hier an diesem Ort vergessen.
An diesem Ort der Verbannung, der ihr von ihren Bekannten nahegelegt wurde.
An diesem Ort der Verbannung, von dem sie eines Tages „älter, klüger und gehörig um Verzeihung bittend“ zurückkommen soll.
An diesem Ort der Verbannung, der ihr einen Besserungsaufenthalt ermöglichen soll.
Wir erfahren erst weit nach der Hälfte, um was es sich bei dieser Entgleisung handelt. Die Neugierde zieht sich bis dahin wie ein roter Faden im Hintergrund durch. Sie ist immer da, aber man wird vom interessanten und kurzweilig erzählten Vordergrund so abgelenkt und in Bann gezogen, dass Neugierde und Spannung erträglich sind. Nichtsdestotrotz ist man umso erfreuter, wenn das Geheimnis endlich gelüftet wird.
Ich finde es sehr bedauerlich und sogar ärgerlich, dass in manchen Buchvorstellungen, Ankündigungen und Rezensionen erwähnt wird, um welche Entgleisung es sich handelt. Dadurch wird einem als Leser etwas genommen.
Und natürlich werde ich es deshalb nicht verraten 😉
Es ist der Tag der Ankunft im „Hotel du Lac“, einem abgeschiedenen und gleichermaßen bescheidenen, wie vornehmen Zufluchtsort für Erholungsuchende.
Edith, eine eher verschlossene und zurückhaltende Frau, erinnert sich an das letzte Mittagessen mit ihrem Agenten vor der Abreise und daran, wie ihre Freundin Penelope sie wie eine Abzuschiebende zum Flughafen Heathrow brachte.
Sie arbeitet an ihrem neuen Roman weiter, schreibt an ihren geliebten David und geht zum ersten „Auftritt im Speisesaal“, wo ihr erstmals der Gedanke kommt, dass der Aufenthalt ihr nicht nur Ruhe, sondern auch Eintönigkeit und Langeweile bescheren würde.
Man spürt Ediths Einsamkeit und Melancholie. Sie vermisst ihren Liebhaber David, beginnt, die anderen Gäste zu beobachten und sich mit ihrer lebhaften Phantasie ihre Lebensgeschichten auszumalen.
Ihre Gedanken nachzuvollziehen ist interessant, ihren Beobachtungen zu folgen ist vergnüglich, unterhaltsam, interessant und z. T. witzig.
Wir lernen die oberflächliche, konsumfreudige, wählerische, anspruchsvolle und mitteilsame Mrs. Pusey mit ihrer pummeligen Tochter Jennifer kennen, die im Schatten ihrer Mutter steht und für Höheres bestimmt ist.
Wir treffen auf die schöne, schlanke und große Lady Monica, „ein Mitglied der herrschenden Klasse“, eine „träge Luxusfrau“, die ihr Hündchen Kiki gnadenlos verwöhnt.
Wir begegnen der von Sohn und Schwiegertochter ausrangierten, schwerhörigen und ständig Zeitung lesenden Mme. de Bonneuil mit dem „Bulldoggengesicht“.
Und dann weckt ein Mann im grauen Anzug Ediths Interesse: Philip Neville, der in ihr die Schriftstellerin Vanessa Wilde erkennt.
Es ist ein ruhiger und gleichzeitig bewegter und dichter Roman.
Handlung und Aktion stehen im Hintergrund. Es geht vor allem um das Innenleben Ediths: ihre Gefühle, Empfindungen, Gedanken, Erinnerungen und Vorstellungen.
Man hat den Eindruck, als bewege sich Edith, eine Frau mit schlechter Menschenkenntnis und viel Fantasie, in einer Parallelwelt.
Entweder verliert sie sich in ihrer Innenwelt, in ihren Tagträumen und Fantasien oder sie taucht tief in die Handlung ihres neuen Romans ein. Eine gute Methode, um „die allzu realen Umstände, über die sie keine Kontrolle hatte, fernzuhalten“ (Kindle Position 846)
In dem faszinierenden Roman stecken viele kleine Schätze, zum Beispiel die schöne Bemerkung: „Literatur, die altbewährte Trösterin der sich unbehaglich Fühlenden…“ (Kindle Position 846)
Die bildhafte und anschauliche Sprache macht es zum Genuss, sich all das vorzustellen, was Edith erlebt und beobachtet.
Letztlich hat man das Gefühl, mit dieser elitären Luxusgesellschaft im Speisesaal zu essen oder im Salon Tee zu trinken, weil Anita Brookner sowohl Charaktere als auch Ambiente und Atmosphäre so bravourös beschreibt.
Es ist eine sowohl eindrucksvolle und tiefgründige, als auch unterhaltsame und vergnügliche Lektüre, die immer wieder amüsant ist und zum Schmunzeln anregt.
Dieses Buch mit dem schönen und ausführlichen Vorwort von Elke Heidenreich werde ich sicher ein zweites Mal lesen.
Bisher habe ich es nur als eBook, aber ich werde es mir noch als Printausgabe gönnen.
„Hotel du Lac“ ist ein Roman, der in meinem Klassikerregal stehen muss, weil ich ihn unglaublich gut finde.
5/5⭐️
Inspiriert von deiner Rezension hab ich dieses Buch gelesen…. und konnte es kaum aus der Hand legen. Ich kann die Leseempfehlung hundertprozentig weitergeben.👍
Liebe Andrea💐,
es freut mich sehr, dass Du Spaß bei der Lektüre hattest und dass Du mir das sogar mitteilst.
Das ist ein Roman, den ich bestimmt irgendwann ein zweites Mal lesen werde. Aber erst, nachdem ich weitere Werke von Anita Brookner gelesen haben. „Ein Start ins Leben“ ruft schon ungeduldig „Lies mich!“😂
Herzliche Grüße und viel Spaß bei Deinem nächsten Buch, was auch immer es sein mag.
Susanne