In diesem 2. wunderbaren Roman von Laetitia Colombani geht es um zwei Frauen, Solène und Blanche, die sich für ein Leben entscheiden, in dem sie anderen Menschen helfen.
Aber nicht irgendwelchen Menschen, sondern denen, die am Rand der Gesellschaft leben:
Frauen, die in einem Frauenwohnheim oder Obdachlose, die auf der Straße leben.
Wie bereits in „Der Zopf“ führt die Autorin dem Leser Welten vor Augen, die wenig mit dem sicheren und behüteten Alltag der gut situierten und privilegierten Gesellschaft zu tun haben.
Gekonnt, geschmeidig, unaufgeregt und interessant verknüpft sie, wie schon im Vorgängerroman die Geschichten und Schicksale unterschiedlicher Lebensrealitäten miteinander.
Die Autorin bewegt sich dabei auf einem schmalen Grat zwischen Ernsthaftigkeit und Schwere auf der einen Seite und interessanter Lektüre bzw. fesselnder Unterhaltung auf der anderen Seite.
Meines Erachtens meistert sie diese Gradwanderung hervorragend.
Es ist ein ergreifender und erhellender Roman über Blanche Peyron, die 1926 unter schwierigsten Voraussetzungen eines der ersten Frauenhäuser gegründet hat, den „Palais de La Femme“ der tatsächlich existiert und Solène, die durch den Suizid eines Klienten in eine depressive Krise rutscht.
Das Buch beginnt und endet mit dem Gebet einer Schwester der Ordensgemeinschaft „Töchter vom Heiligen Kreuz“, der das Wohl der Bedürftigen am Herzen liegt.
Einige Gedanken von William Booth, der Mitte des 19.Jh die Heilsarmee gegründet hat, sind dem anfänglichen Gebet vorangestellt.
Nach diesen einführenden Worten landen wir mitten im Paris der Gegenwart:
Die 40jährige engagierte und renommierte Anwältin Solène verlässt mit ihrem Mandanten, der soeben verurteilt wurde, den Gerichtssaal des Pariser Justizpalastes.
Noch ehe sie es wahrnehmen oder gar reagieren kann, stürzt er SICH über die Brüstung in den Tod und SIE dadurch in tiefe Verzweiflung.
Psychopharmaka und einige Wochen stationäre psychiatrische Behandlung helfen ihr dabei, wieder einigermaßen zurechtkommen, aber eine depressive Verstimmung mit Antriebslosigkeit und Schuldgefühlen lassen sie nach der Entlassung zu Hause nur dahinvegetieren… bis sie auf ein Stellenangebot stößt, das etwas in ihr berührt und bewegt:
Öffentliche Schreiberin.
Verschiedene Gedanken über ihr bisheriges Leben werden durch diese Annonce angestoßen und auf diese Weise erfahren wir so Manches aus ihrer Biografie und über ihre Lebensweise. Wir lernen auch ihren Kindheitstraum kennen:
Schriftstellerin.
Auf Druck und Anraten ihrer Eltern hat sie ihn jedoch begraben, um wie Mutter und Vater Jura zu studieren.
Nachdem wir Solène kennengelernt haben, machen wir einen Zeitsprung und landen im Winter des Jahres 1925 bei Albin und Blanche, die ebenfalls in Paris leben.
Albin sorgt sich um seine 58jährige Frau Blanche, die trotz starker gesundheitlicher Beeinträchtigung ihrer Arbeit in einer sozialen Einrichtung, der Heilsarmee, nachgeht.
Schon als Kind war Blanche ein temperamentvoller und willensstarker Wirbelwind, der sich gegen Ungerechtigkeiten wehrte.
Und es dauerte nicht lange, bis sie sich entgegen dem Wunsch ihrer Mutter, entgegen dem gängigen Rollenklischee und trotz der Ablehnung aus ihrem Umfeld in der Heilsarmee verpflichtet, um sich für Benachteiligte und Bedürftige einzusetzen.
Und dann lernt sie Albin kennen…
Ich empfand Bewunderung für die Willensstärke, für den Mut und für das selbstlose Engagement von Blanche, aber auch Empörung über den Wind, der ihr entgegenschlägt.
Ich machte mir aber auch Gedanken darüber, wo die Grenzen eines solchen sozialen Engagements sein „sollten“, ab wann aus bewundernswerter Nächstenliebe, unvernünftige und zerstörerische Selbstaufgabe wird und ob es Zeitpunkte gibt, ab denen sich Stärke und Wille in Starrsinn und Unvernunft verwandeln.
Der Leser bekommt berührende Einblicke in unterschiedliche Kulturen, Nöte und bedrückende Schicksale. Sein Blick wird in Richtung einer Welt gelenkt, die die meisten von uns nur aus der Theorie kennen:
Die Welt der Armen und Notleidenden.
Der Ton im „Haus der Frauen“ ist zwar überwiegend ernsthaft und melancholisch, aber trotz der Schwere beendet man den Roman hoffnungsvoll, ermutigt und mit einem guten Gefühl.
In diesem 256 Seiten langen Werk stecken verschiedenste Themen und Botschaften.
Es geht darum, den eigenen Weg zu finden und zu gehen, statt seine Bedürfnisse hintanzustellen und die (vermeintlichen) Erwartungen Anderer zu erfüllen.
Normen zu hinterfragen, Mut zu Veränderung zu haben und sich auf Neues einzulassen, spielt ebenso eine Rolle, wie Erfüllung und Sinn in seinem Tun zu finden.
Am augenscheinlichsten, jedoch zu keinem Zeitpunkt plump, ist m. E. das Plädoyer der Autorin für soziales Engagement, (Mit-) Menschlichkeit, Empathie, Zusammenhalt und Solidarität.
Sie führt dem Leser vor Augen, was mit Wille, Überzeugung und tatkräftigem Handeln erreicht werden kann.
Der Roman ist unbedingt lesenswert!
Etwas für‘s Herz, etwas das aufwühlt, etwas, das den Horizont erweitert und etwas zum Nachdenken.
4/5⭐️