Krien, Daniela: Muldental

Ich habe bisher einen Bogen um Kurzgeschichten gemacht, da ich angenommen habe, nur in längere Romane wirklich eintauchen und zufrieden wieder auftauchen zu können.

Bereits Joey Goebel hat mich mit „Irgendwann wird es gut“ eines Besseren belehrt, und Daniela Krien hat mich nun mit ihren Erzählungen, die in den Wendejahren und überwiegend in den neuen Bundesländern spielen, komplett vom Gegenteil überzeugt.

In Windeseile versank ich in jeder dieser 11 ernsten und interessanten Geschichten, die trotz oder gerade wegen ihrer Kürze eine unglaubliche Intensität und Tiefe entfalten.

Es war so, als wäre ich immer wieder aufs Neue in eine andere Welt katapultiert worden, völlig darin aufgegangen und plötzlich wieder hinausgeschleudert worden. Wieder in der Realität gelandet, musste ich mich dann erst mal wie ein nasser Hund schütteln, um wirklich anzukommen.

„In der Kürze liegt die Würze“ ist ein Sprichwort, das hier voll und ganz zutrifft.

Der Leser trifft Protagonisten, die nach dem Mauerfall nicht auf der Sonnenseite des Lebens gelandet sind.
Es sind traurige, tragische oder erschütternde Schicksale.

Man sollte dieses 230-seitige Juwel in Häppchen zu sich nehmen. Nicht nur, um länger davon zu haben, sondern auch, um den Inhalt der Kurzgeschichten verdauen zu können.

Daniela Krien präsentiert hier nämlich keine leichte Kost.
Es sind berührende, aufwühlende und bewegende Geschichten, die das Leben schrieb, die nachwirken, die zum Nachdenken anregen und die den Wunsch nach Austausch auslösen.
Ich war froh um die Leserunde, mit der ich über das Gelesene diskutieren konnte.

Die Kurzgeschichten spielen zwar, wie oben schon erwähnt, in den Wendejahren und überwiegend in den neuen Bundesländern und die Protagonisten stammen aus der ehemaligen DDR, aber sie könnten sicherlich auch in anderen Zeiten und an anderen Orten angesiedelt sein.
Man kann die meisten Geschichten auch „allgemeingültig“ lesen. Nur wenige lassen sich klar und eindeutig nur auf sog. „Wendeverlierer“ beziehen.

Die Autorin bewertet nicht. Sie beobachtet scharfsinnig und beleuchtet äußere Umstände und Innenleben ihrer Figuren wie mit einem Scheinwerferlicht, um es anschließend detailliert und treffsicher zu beschreiben.

Die Geschichten sind sprachlich beeindruckend und inhaltlich fesselnd.
Kein Wort ist zu viel, keines zu wenig.
Manche Metaphern muss man einfach mehrfach lesen, weil sie so treffend und deshalb faszinierend sind.

Daniela Krien schafft es, im Verlauf des Buches die gesamte Palette an Gefühlen beim Leser auszulösen.
Bei der einen Geschichte spürt man Empörung, bei der anderen Beklemmung, dann tiefes Mitgefühl und den Impuls zu trösten, dann Wut… oder eine Mischung aus allem…
Das ist m. E. hohe Kunst!

Raffiniert schließt sie am Ende den Kreis und gibt dem Band aus einzelnen Erzählungen einen Rahmen, eine Art Klammer, die alle Geschichten umfasst.

Wie sie das macht, möchte ich hier nicht erwähnen. Das würde das Lesevergnügen mindern.

Was mich ebenfalls beeindruckt hat, war, dass sie es geschafft hat, mir nach all den erschütternden, beklemmenden, empörenden oder lähmenden – kurz: aufwühlenden – Geschichten mein Herz zu erwärmen und ein zufriedenes und erfreutes Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Natürlich verrate ich auch hier nicht, wie ihr das gelungen ist.

Nach dem Zuklappen des Buches hat man von Dramen und Tragödien gelesen, macht sich ein zufriedenes Gefühl breit und ploppt der Gedanke auf: „Es ist nicht alles nur schlimm. Es gibt Hoffnung, es gibt das Gute!“.
Vielleicht wollte sie diese Botschaft vermitteln?

Abschließend noch eine kurze Übersicht bzw. knappe Zusammenfassung der Inhalte und Themen, damit Ihr Euch besser vorstellen könnt, um was es geht:

Eine Ehefrau, die von der Stasi genötigt wird, ihren Mann auszuspionieren.

Ablehnung und Vorurteile rufen Wut und Gewalt hervor.

Versuchungen, schnell und einfach an Geld zu kommen.

Schwangerschaftsabbruch.

Absturz vom wohl-situierten Meister zum schwer alkoholkranken Gelegenheitsjobber.

Liebloses Aufwachsen und Mobbing und was sich daraus entwickeln kann.

Trennungen, Trennungsschmerz und andere Folgen des Mauerbaus.

Mögliche Folgen einer nicht tragfähigen Mutter-Tochter-Beziehung.

Die Erfahrung, nicht mehr gebraucht zu werden.

Die Erkenntnis, dass unterm Strich und am Ende nicht alles aussichtslos ist.

Wie nach diesen Ausführungen unschwer zu vermuten ist, bin ich begeistert von diesem Werk.

Ich empfehle es unbedingt! Aber, wie gesagt:
Ich würde es in Portionen genießen, nicht gerade vor dem Schlafen lesen und parallel zum Ausgleich eine leichte und beschwingende Lektüre bereithalten.

5/5⭐️

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