Wagner, Jan Costin: Sommer bei Nacht

Bei dem 320-seitiges Roman geht es um harte Kost:
Kindesentführung und Missbrauch.

Wiesbaden. Sommer. Gegenwart.
Marko kauft zwei riesige Teddybären, geht um die Mittagszeit auf einen Flohmarkt, der auf dem Pausenhof einer Grundschule stattfindet, verführt und entführt den 5-jährigen Jannis mit Hilfe eines der beiden Stofftiere.

Ganz problemlos.
Ganz unauffällig.
Ben und Christian ermitteln und Ben sucht dabei immer wieder den Rat von Ludwig Landmann, einem Ermittler im Ruhestand.

Ein ähnlicher, aber bis heute nicht aufgeklärter Fall erregt ihre Aufmerksamkeit:
In Innsbruck verschwand vor einem Jahr der 7-jährige Dawit aus Eritrea.
Auch da war ein Teddybär im Spiel.

Und dann stoßen sie noch auf Lars, einen 8-jährigen Jungen, dem ein Unbekannter in einer Buchhandlung ein Stofftier schenken wollte, das so flauschig aussah… fast so wie ein Teddybär. Ist es der gleiche Täter?

Werden Ben und Christian den oder die Täter finden?
Werden sie die Jungen finden?

Zwei Katastrophen, die die Familien der Jungen ins Bodenlose stürzen und auch die Ermittler ins Schlingern bringen.

Einfühlsam und ausdrucksstark zieht der allwissende Erzähler den Leser in die Handlung hinein. Darüber hinaus werden aber auch die äußeren Lebensumständen und die Innenwelten der Ermittler beleuchtet und auch die anderen Figuren erwachen zum Leben und kommen einem nahe. Ben und Christian sind etwas skurrile und melancholische Ermittler mit Geheimnissen, die nur ansatzweise oder häppchenweise gelüftet werden.

Die Sprache ist metaphorisch und poetisch, also eher untypisch für einen Krimi. Sie macht die Lektüre zu etwas Besonderem. Melancholische Stimmung und beklemmende Atmosphäre werden brillant vermittelt.
Nicht umsonst wird Jan Costin Wagner „der Poet unter den Krimiautoren“ (dpa) genannt.

Ich muss gestehen, dass sich das Zusammentreffen von poetischer Sprache und Krimigenre mit zunächst erwarteten sachlich-nüchternen Polizisten und abgebrühten Verbrechern anfangs etwas widersprüchlich und seltsam, da ungewohnt, für mich anfühlte. Aber dieses Gefühl legte sich schon bald und der Genregrenzen sprengende „Mix“ entfaltete seinen Charme.

Etwas ungewöhnlich aber ins Buch hineinziehend und das Geschehen vorantreibend sind die recht kurzen Kapitel, die mit den Vornamen der Protagonisten überschrieben sind. Ein faszinierender Kunstgriff, denn auf diese Weise steuert der Autor Intensität und Tempo und fühlt sich der Leser ganz schnell mittendrin. Gegen Ende geht es Schlag auf Schlag. Die Aufklärung steht an. Die Kapitel werden kürzer und die fokussierten Personen wechseln immer schneller.

Ein klassischer Krimi muss ja eigentlich nur spannend, packend und nachvollziehbar sein. Wenn dann auch noch eine schöne bildhafte Sprache mit Metaphern und eine zum Nachdenken anregende und ernsthaft und fundiert aufgearbeitete und aufgegriffene brisante Thematik dazukommt, dann wird aus dem klassischen Krimi ein kunstvoller, ästhetischer, interessanter, wichtiger, aktueller und spannender Roman.

„Sommer bei Nacht“ ist so ein Roman. Eine intensive und lesenswerte Lektüre.

4/5⭐️

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