Chapeau!
Für mich war das ein Psychothriller, der sich wirklich zu lesen gelohnt hat.
Lehane schreibt spannend, die Geschichte ist schlüssig und ich konnte Stimmungen und atmosphärische Veränderungen spüren und erleben. Der Leser wird bis zuletzt auf eine falsche Fährte geführt und die rätselhafte, unheimliche und schaurige Atmosphäre auf der Insel „Shutter Island“ vermittelte sich mir unschwer.
Vor meinem geistigen Auge entstanden Bilder oder spielten sich Szenen eines Films ab. Die Charaktere, v. a. der Protagonist Edward (Teddy) Daniels, wurden mir schnell vertraut.
Mir gefiel es, dass Lehane sich vor allem zu Beginn viel Zeit ließ, um z. B. das Kennenlernen und sich Annähern der beiden US -Marshals Teddy und Chuck zu beschreiben und ich mochte die beiläufigen drum-herum Gespräche, die das Ganze recht stimmig und flüssig wirken ließen. Ich fand auch Gefallen an den Rückblenden und an den ab und zu eingestreuten Träumen.
Schreibstil und Sprache mochte ich und passen zum Genre.
Was den Plot betrifft, geht es um die seit einigen Stunden aus der forensischen Klinik auf Shutter Island vermisste Patientin Rachel Solando. Eine Kriegswitwe, die während eines psychotischen Anfalls, ihre drei Kinder in einem See ertränkt hat und nach wie vor der Meinung ist, dass sie am Leben sind.
Ihr Verschwinden ist völlig rätselhaft. Es ist nicht vorstellbar, wie sie ohne Hilfe aus einem von außen abgeschlossenen Zimmer mit vergittertem Fenster an mehreren Wachen vorbei aus einem Hochsicherheitsgebäude fliehen kann. Teddy und Chuck, zwei US-Marshals, kommen auf die Insel, um die Vermisste zu finden. Das Klinikpersonal wirkt nicht besonders kooperativ. Fast so, als würde es etwas verschweigen.
Was das Thema des Thrillers angeht, und das wird einem erst am Ende klar, geht es um seelische Abwehrmechanismen und um die Heilbarkeit psychischer bzw. psychiatrischer Erkrankungen.
Jeder von uns wendet gar nicht so selten unbewusst psychische Strategien an, um mit der Realität besser klarzukommen.
Wir verdrängen Gefühle oder verleugnen Tatsachen, um manches besser zu ertragen. Das zu tun kann notwendig und sinnvoll sein und durchaus seine Berechtigung haben.
Im Roman wird uns vor Augen geführt, wie die Grenze des Gesunden überschritten wird. Eine nicht aushaltbare Realität wird nicht nur verdrängt und verleugnet, sondern führt über diese Mechanismen hinaus zu Realitätsverlust, Wahnvorstellungen und zur Erschaffung von und Flucht in Parallel- und Scheinwelten. Und schließlich zu psychischer bzw. psychiatrischer Erkrankung.
Sich daraus ergebende Fragen, könnten sein
- Kann/darf man diesen Menschen nicht in seiner Scheinwelt belassen?
– Soll / muss / darf man ihn in die Realität zurückholen? - Geht das überhaupt oder ist die Seele, die an diesen Schutzmechanismen festhält schlicht und ergreifend mächtiger?
– Wie kann man diesen Menschen in die Realität zurückholen? Durch Medikamente oder durch non-invasive Methoden (hier: Inszenierung) wie Psychotherapie?
Hier im Roman, der ja in der Nachkriegszeit spielt, wird als Alternative eine grausame Methode der Nazis aufgegriffen, die Lobotomie. Heute natürlich völlig undenkbar!
Mein einziger Kritikpunkt sind die zahlreichen Fehler im Buch. Rechtschreibfehler oder auch zu viele oder zu wenige Buchstaben bzw. Wörter. Der Lektor/die Lektorin hat in der Taschenbuchausgabe von 2015 keine besonders gute Arbeit geleistet. Aber das kann man ja nicht dem Autor anlasten.
Fazit: Dieser m. E. fabelhaft und raffiniert konstruierte page turner fesselte mich ziemlich schnell. Recht bald war ich begeistert und am Ende sogar fasziniert, weil Lehane eben nicht nur eine spannende Geschichte erfunden hat, sondern ein für mich zumindest hoch interessantes Thema aufgegriffen hat.
Und zu keinem Zeitpunkt der Geschichte bin ich auch nur annähernd auf die Idee gekommen, dass sie so ausgehen könnte wie sie ausgegangen ist. Erst ganz zum Schluss wird der Leser durch eine ziemlich abgefahrene Auflösung überrascht.
5/5⭐️