Christie, Agatha: Die vergessliche Mörderin

Das 1966 erstmals erschienene Buch ist der 57. Kriminalroman, den Agatha Christie geschrieben hat.

Er spielt in einer Wendephase. Das Alte galt als überholt, verknöchert und verstaubt – das Neue als verrückt, überzogen und provokativ.

Genau diese Welten treffen hier aufeinander. Das ist der Rahmen, innerhalb dessen sich die Geschichte um die vergessliche Mörderin abspielt.

Mir gefiel diese atmosphärisch wunderbar aufgegriffene Gleichzeitigkeit und Gegenüberstellung von konservativen und modernen Strömungen im Bereich Jugend, Frauen und Kunst.

Hercule Poirot, der konservative, scharfsinnige, eitle, von sich eingenommene und trotzdem sympathische belgische Privatdetektiv mit dem gezwirbeltem Schnurrbart, hat soeben eine Analyse über berühmte Autoren von Kriminalromanen beendet.

Gerade als er beginnt, sich zu langweilen, schneit eine junge ungepflegte Dame herein.
Sie will ihn wegen eines Mordes sprechen.
Wegen eines Mordes, den SIE möglicherweise begangen hat…aber sie überlegt es sich anders.
Ohne ihm mehr zu verraten, ist sie genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen ist.

Poirot lässt das keine Ruhe.
Er erzählt der befreundeten, redseligen, extrovertierten und etwas schrulligen Krimiautorin Mrs. Oliver von dieser außergewöhnlichen Begegnung und sie hilft ihm herauszufinden, wer und wo das Mädchen ist:
Es ist Norma Restarick, die in einer Frauen-WG in London lebt und bei einem Innenausstatter arbeitet.
Norma Restarick, die aus der ersten Ehe eines steinreichen Geschäftsmannes und Firmenteilhabers stammt.
Norma Restarick, die anscheinend „verrückt“, „unterbelichtet“ oder zumindest „konfus“ und „vergesslich“ ist und plötzlich spurlos verschwindet…

Die 1976 mit 86 Jahren verstorbene Agatha Christie lässt den Leser in Poirot‘s Gedankenwelt eintauchen und verführt auf diese Weise dazu, mitzudenken und den Fall mit ihm zusammen zu lösen.
Das macht Spaß, fesselt und ist spannend.

Mir gefallen die unaufgeregte Erzählweise und die altmodische, aber in meinen Ohren so respektvoll, vornehm und elegant klingende Sprache.
Ja, sie klingt auch gestelzt und gekünstelt, aber das stört mich weniger, als dass es mich zum Schmunzeln bringt.

Ich mag die altertümliche Atmosphäre und das Benehmen der älteren Figuren, für das mir kein besseres Wort als „sophisticated“ einfällt.
Das typisch englische Flair dieser Zeit wird in dem Roman vermittelt.
Ja, das Ganze ist auch auch etwas klischeehaft und manchmal ein bisschen kitschig. Aber auch das stört mich weniger, als dass es mich zum Schmunzeln bringt.

Der Leser begegnet in dem Buch einer Vielzahl von liebevoll, unterschiedlich und lebendig gezeichneten Charakteren.

Am liebsten mag ich die schlagfertige und etwas kauzige Kriminalbuchautorin Mrs. Oliver, die sich eigenmächtig und mit großem Ehrgeiz an den „Fall Norma“ heranmacht.

Ganz nebenbei werden bedeutsame und zeitlose Themen gestreift:
Was, wenn man das Gefühl hat, im falschen Leben festzustecken?
Wie ist es, wenn man als Fünfjährige vom Vater verlassen wird und dieser dann später mit einer neuen Ehefrau zurückkommt (Stichwort: Ödipus)? Hass und wozu er führen kann.

Und letztlich wird man auf eine falsche Fährte gelockt und mit einer überraschenden, aber plausiblen Auflösung konfrontiert.

„Die vergessliche Mörderin“ ist eine interessante, spannende, vergnügliche, unterhaltsame und kurzweilige Lektüre.

Ich liebe diese altertümlichen Kriminalromane, egal ob von Agatha Christie oder Simenon.
Sie sind für mich eine wunderbare Abwechslung zum Schmökern und Genießen.

4/5⭐️

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