Simenon, Georges: Der Mörder

Erneut haben wir es mit einem ganz besonderen Krimi aus der Feder des bekannten und erfolgreichen belgischen Schriftstellers Simenon (1903 – 1989) zu tun.
Mit einem Krimi, der die Genregrenze sprengt. Warum?
Weil schon nach kürzester Zeit Mörder und Motiv klar sind und weil es im weiteren Verlauf weniger um die offiziellen Ermittlungen geht, als um die inneren Entwicklungen und Veränderungen der Protagonisten und ihrer Beziehungen.

Der 1937 erstmals erschienene Kriminalroman spielt in einem Winter in den Niederlanden.
Der 45-jährige Doktor Hans Kuperus, Hausarzt in Sneek (Stadt in Friesland), ist, wie jeden 1. Dienstag im Monat in Amsterdam.
Aber heute schwänzt er zum ersten Mal die Versammlung der biologischen Gesellschaft und er besucht auch nicht wie üblich seine Schwägerin.

Stattdessen kauft er einen Revolver und gönnt er sich, ganz entgegen seiner üblichen Gewohnheiten, ein üppiges französisches Menü in einem exklusiven Restaurant.

Aber warum braucht er eine Waffe? Das hängt mit einer anonymen Nachricht zusammen, die er vor einem Jahr bekommen hat.
Da schrieb ihm jemand kurz und knapp, dass seine Frau Alice ihn immer mit dem stadtbekannten Frauenheld Schutter betrüge, wenn er unterwegs sei.

Tja… und dann erschießt Kuperus genau mit dieser Waffe seine Frau und ihren Liebhaber, als die beiden einen Spaziergang im Mondschein machen. Die Leichen schmeißt er in einen Kanal, der günstigerweise bald zufriert…

Man könnte sich jetzt fragen, ob der Autor nicht schon auf den ersten Seiten sein ganzes Pulver verschossen hat.
Wir kennen den Mörder und wir kennen das Motiv.
Und nun?

Nun tauchen auf einmal viele Fragen auf.
Was hat es mit dem fremden Mann auf sich, der unerkannt seit Monaten unter Kuperus’ Dach schläft?
Warum schnüffelt eine blonde Frau seit neuem in Sneek herum?
Wer hat den anonymen Brief geschrieben?
Welche Rolle spielt das Dienstmädchen Neel?
Wird man Kuperus entlarven?

So viel sei verraten:
Simenon hat sein Pulver bei Weitem nicht verschossen. Es bleibt bzw. wird fesselnd und spannend bis zur letzten Seite.

Wie in all seinen Kriminalromanen, die ich bisher (mit großem Vergnügen!) gelesen habe, erfreue ich mich an Simenons eleganter und altertümlicher Sprache, seiner unaufgeregten und bedachten Ausdrucksweise und an der Charakterzeichnung sowie der zunehmenden Offenbarung des Innenlebens seiner Hauptfiguren Doktor Kuperus und seiner Dienstmagd Neel.
Beides sind interessante Personen, die vor dem geistigen Auge zum Leben erwachen.
Während Kuperus immer unsympathischer wird, staunt man immer mehr über Neels kühle Souveränität und Unnahbarkeit.
Die Veränderungen, die mit Kuperus vor sich gehen, sind gleichermaßen faszinierend wie abschreckend und Simenon seziert dies detailliert und beeindruckend.

Mit diesem Kriminalroman hat uns Simenon einen schlüssigen und fesselnden Pageturner mit Tiefgang vorgelegt.

5/5⭐️

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