Adichie, Chimamanda Ngozi: Die Hälfte der Sonne

Der Roman, der in Afrika (Nigeria und Biafra) spielt und dessen Titel auf die Flagge Biafras anspielt, ist eine Wucht. Er hat eine emotionale Wirkung wie ein Donnerschlag.

Die Charaktere werden in aller Ruhe vorgestellt und man taucht langsam in die nigerianische Welt der 1960 Jahre ein. In die Anfänge der postkolonialen, unabhängigen Zeit und in die Zeit der politischen Unruhen, die mit einem Putsch beginnen.

Immer tiefer gerät man im Verlauf des Buches in das Elend der schließlich ausbrechenden kriegerischen Auseinandersetzungen hinein.

Man bekommt zu Beginn Einblicke in die zum Teil dekadente und hochnäsige nigerianische neureiche geld- und geschäfteorientierte Oberschicht, aber auch in die ärmere Welt der gastfreundlichen und herzlichen, abergläubischen, am Alten klammernden bzw. das Neue verherrlichenden Landbevölkerung und in die Welt der aufrührerisch und kritisch denkenden, ambitionierten und gebildeten nigerianischen Intellektuellen.

Im Verlauf erlebt man erschütternde, brutale, verstörende und unmenschliche Ereignisse mit, die umso ergreifender und berührender wirken, wenn man sich klar macht, dass C. N. Adichie ihre fiktive Geschichte in wahre Begebenheiten einbettet, die ich neben der Lektüre des Romans wissbegierig recherchieren „musste“, weil die Autorin mein Interesse geweckt hat. Sie vermittelt Stimmungen und atmosphärische Veränderungen, als wäre man mitten drin.

Der 13 jährige Ugwu beginnt seinen Dienst als houseboy beim belesenen, freundlichen und revolutionär denkenden Master Odenigbo, einem Universitätsdozenten (Mathematik) aus Nsukka. Ugwu gefällt es so gut, dass er sich, aus Angst, er könnte wegen kleinster Versäumnisse wieder zurück in sein Heimatdorf geschickt werden, unglaublich bemüht, alles richtig zu machen.

Der Roman beginnt herzerwärmend und einfach nur schön. Man ist sofort mitten drin, sieht das Beschriebene vor seinem geistigen Auge und spürt und erlebt Ugwu’s Bemühen, zu gefallen, seine Sorge, weggeschickt zu werden, was ihn beschäftigt und seine wachsende zärtlich-liebevoll-eifersüchtige Bewunderung für seinen Master.

Dann taucht Olanna auf, Odenigbo’s Partnerin, und stört die Zweisamkeit von Master und houseboy. Aber es dauert nicht lange und sie erobert auch Ugwu’s Herz und Fantasie. Die drei werden zu einer Familie.

Olanna ist eine der beiden Töchter aus gutem Hause. Ihr Vater ist der Besitzer einer Zementfabrik. Olanna hat in London Soziologie studiert, kehrte nur in den Ferien nach Nigeria zurück und nahm nach dem Studium eine Stelle als Dozentin am Institut für Soziologie in Nsukka an.
Olanna hat eine Zwillingsschwester. Die beiden haben sich entfremdet. Kainene hat ebenfalls in London studiert und wird die Geschäfte des Vaters übernehmen.

Der Roman erzählt letztlich die Geschichte der Zwillingsschwestern und ihrer Beziehungen vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen und des Krieges zwischen Nigeria und Biafra.

Richard, ein in sich gekehrter, unsicherer und menschenfreundlicher, an nigerianischer Kunst und Kultur interessierter Journalist aus London, will ein Buch über Nigeria schreiben und verliebt sich in Kainene.

Man bekommt einen Einblick in die sich verändernden gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten, einen Eindruck von den gesellschaftlichen, politischen und zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und Problemen und erlebt mit, wie sich zwischenmenschliche Beziehungen entwickeln und verändern.

Der Roman ist lang. 618 Seiten. Aber er ist alles andere als langweilig und er ist m. E. auch nicht zu lang. Mich hat er bis zum Ende emotional gefesselt und er hat meinen Horizont erweitert und mich wirklich gut unterhalten.
Was will man mehr?

5/5⭐️

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