Würger, Takis: Stella

Meine Gedanken zum extrem umstrittenen und heftig kritisierten Roman „Stella“ von Takis Würger.

Erst einmal kurz und knapp: der Roman hat mir nicht gefallen und ich empfehle jedem, der sich für die Person Stella Goldschlag und die Themen Nationalsozialismus, Antisemitismus und Berlin im zweiten Weltkrieg interessiert, sich auf die Suche nach anderen, tiefgründigeren, differenzierteren und damit lesenswerteren Werken zu machen.

Was mir ganz gut gefiel, waren die Beschreibung von Friedrichs Kindheit zu Beginn des Romans, die staccatoartigen Blitzlichter zu Beginn jedes neuen Kapitels/Monats des Jahres 1942, die das Nebeneinander von Bedeutungsvollem und Belanglosem illustrieren, die einen interessanten Überblick gestatten und so manchen aha-Effekt bescheren, und die regelmäßig eingestreuten Notizen aus den Prozessakten, die dem Leser gerade zu Beginn des Jahres 1942 in Berlin, als Friedrich und Stella sich gerade kennenlernen, sehr deutlich die Parallelität von Grausamkeit/Gefahr/Tod einerseits
und Luxus/Unbeschwertheit/Leben andererseits vergegenwärtigen.

Das ist für mich ein emotionaler Eindruck, den Takis Würger durch den Aufbau seines Textes (nüchterne erschütternde Prozessakten und Blitzlichter – süffig leichter sex & drugs -Unterhaltungstext) gut vermittelt hat: die Erschütterung durch die Koexistenz diese Extreme.

Manche Kritiker werfen ihm vor, dass er durch diesen
o. g. „süffig leichten Unterhaltungstext“ den Holocaust verharmlose bzw. leichtfertig mit dem Thema umgehe. Das finde ich nicht. Ich glaube, wie gesagt, eher, dass es ein Stilmittel ist: Verdeutlichung durch Gegensätze. Aber Stilmittel hin oder her: mir gefällt nicht, wie dieser „süffig leichte Unterhaltungstext“ geschrieben ist (s. u.).

Takis Würger beschreibt die erschwerten Bedingungen von Friedrichs Kindheit wunderbar (wobei das eig. für den Roman „Stella“ gar nicht besonders von Bedeutung ist):

  • Reiche, aber sich nicht liebende und emotional nicht erreichbare bzw. nicht präsente Eltern.
  • Seine ihn funktionalisierende und in die Alkoholsucht abdriftende, antisemitisch eingestellte, unterkühlte und selbstbezogene Mutter, mit der er in einer ödipalen Konstellation zusammenlebt, weil der zwar freundliche und verständnisvolle Vater häufig aus geschäftlichen Gründen abwesend ist.
  • Den Verlust seines Farbsinns mit ca. 8 Jahren, was zu maximaler Enttäuschung und zur Abwendung seiner Mutter führt, die ihn doch gern als Maler gesehen hätte, weil sie selbst an ihrem Traum gescheitert ist.
  • Seine Schuldgefühle, seine Einsamkeit und die Angst um seine Mutter.
    Glücklicherweise hatte Friedrich die Köchin, die ihm Aufmerksamkeit schenkte und sich um ihn kümmerte.

Der Autor beschreibt die Familienkonstellation wunderschön, so dass man den Charakter und die Psychodynamik des jungen Friedrich glasklar vor Augen hat und nachvollziehen kann, warum er als junger Mann derart unbedarft und naiv in Berlin ankommt.

Meine einzige Kritik an diesem ersten Teil des Romans ist ein Satz Friedrichs auf Seite 13: „…Angst musste ich noch lernen…“ Bei so einer Aussage sträuben sich bei mir sämtliche Nackenhaare: Angst kann man nicht lernen und Angst muss man nicht lernen. Angst hat man einfach.
Takis Würger wollte da wohl auf poetische, aber letztlich ungeschickte Art ausdrücken, dass der Junge noch recht unerschrocken war.

Was mir auch gut gefiel, war, dass ich so manch Neues durch den Roman gelernt und erfahren habe. Nicht viel, aber dieser Aspekt darf trotzdem nicht unter den Tisch fallen, da ich es schätze, wenn mein Horizont erweitert wird.

  • Den Namen Stella Goldschlag und die Begriffe „Greifer“ und „U-Boote“ habe ich vor der Lektüre noch nicht gehört.
  • Der Kinderarzt Janusz Korczak, der die Kinder seines Waisenhauses beim Abtransport in ein Vernichtungslager begleitete, obwohl das auch für ihn den Tod bedeutete, war mir vor dem Lesen des Buches kein Begriff.
  • Und auch den Autor Ernst Hiemer mit seinem antisemitischen Kinderbuch „Der Giftpilz“ lernte ich erst durch „Stella“ kennen.

Nach der Beschreibung von Friedrichs Kindheit folgt der Hauptteil des Romans: Sein Jahr mit Stella, 1942, in Berlin. An diesem Teil gefielen mir, wie gesagt die Notizen aus den Prozessakten und die Blitzlichter recht gut. Am Rest konnte ich mich nicht besonders erfreuen, da er überwiegend aus kurzen, schlichten Sätzen und dümmlichen, hohlen Dialogen, sowie blassen Protagonisten besteht.
Der Schreibstil und die Sprache gefielen mir nicht. Für mich klang manches kitschig, das Meiste zu konstruiert, bemüht und aufgesetzt. Nach vielen Sätzen drängte sich mir regelrecht ein verblüfftes „Hä?“ auf.

Summa summarum:
Kein must read!
Aber sicherlich nicht so verurteilens- und verdammenswert wie derzeit von den Medien vermittelt.

2/5⭐️

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