Kilimnik, Irina: Sommer in Odessa

Eine junge Frau findet endlich den Mut, ihren eigenen Weg zu gehen. So würde ich die Geschichte, die dazu motiviert, sein einengendes Korsett abzulegen, wohl am ehesten thematisch zusammenfassen.

Der Roman spielt im Sommer 2014 in Odessa. Die Stadt und die Familie, um die es in dem Roman geht, stehen vor einem Wendepunkt.

Im ersten Kapitel lernen wir die Medizinstudenten Olga und Radj kennen. Sie sitzen in der Vorlesung, aber die medizinischen Inhalte rauschen an ihnen vorbei, weil sie mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt sind. Auch am Strand, an den sie sich später setzen, um zu lernen, schweifen sie ab, unterhalten sich über Gott und die Welt oder streiten. Sowohl Olga als auch ihr Kommilitone Radj haben sich nicht frei für das Studium der Medizin entschieden.

Olga wurde von ihrer Verwandtschaft, allen voran ihrem übellaunigen und dominanten Großvater und Radj von seiner ganzen indischen Familie gedrängt, Karriere als Mediziner zu machen.

Dass Olga Ärztin werden wird, versöhnt ihren Großvater damit, nur weibliche Nachkommen zu haben. Mit ihrem künftigen Beruf könne und müsse sie die Ehre der Familie retten.

Während Olga noch im familiären Nest bei ihrer Mutter, ihren zwei Tanten Ludmila und Polina, ihren drei Cousinen Alina, Natascha und Lena, sowie ihrem Großvater lebt, wohnt Radj, der ständig Joints raucht, europäisches Essen fade findet und in Olga verliebt ist, ganz allein in einer schmuddeligen Wohnung in Odessa, fernab seiner Familie, die im Süden Indiens lebt.

Olgas unsympathischer Großvater hat das Sagen in dem Frauenhaushalt und lässt seine Töchter und Enkelinnen nach seiner Pfeife tanzen.

Auch was die Vorbereitungen für seine 75-er Geburtstagsfeier angeht, scheucht er seine weiblichen Nachkommen herum. Nur das Beste darf es sein und davon Berge. Doch das lang herbeigesehnte und gründlich vorbereitete Fest wird nicht so, wie es hätte sein sollen. Von wegen ausgelassene Heiterkeit und Fröhlichkeit. Umso später der Abend, desto trübseliger wird auch der Großvater, der nicht mehr ohne seine Wodka-Gläschen zu sehen ist.

Dann klingelt es unerwartet an der Tür. Olga öffnet und ein Unbekannter steht vor ihr. Er jedoch scheint die junge Frau zu kennen.

Großvater, Mutter und Tanten freuen sich ausgelassen über Davids Besuch. Der charmante, warmherzige und aufgeschlossene David ist Großvaters ältester Freund, der vor Jahren nach New York ausgewandert ist.

Mit Davids Besuch ändern sich nicht nur Großvater’s Laune und die Atmosphäre auf dem Fest, sondern auch Olgas Leben, in dem neben dem und den bereits Erwähnten auch noch ihre beste Freundin Mascha, die auf eine Gelegenheit wartet, Odessa zu verlassen und ihr Schwarm Sergej, der kein tiefergehendes Interesse an ihr zu haben scheint, eine große Rolle spielen.

Mit Davids Besuch hält das Chaos Einzug in Olgas Familie. Ein Familiengeheimnis wird gelüftet und stellt die Welt der sieben Frauen auf den Kopf.

Es ist äußerst kurzweilig, unterhaltsam und interessant, zu erfahren, was dadurch alles in Gang gesetzt wird.

Die 1978 in Odessa geborene Autorin Irina Kilimnik hat mit „Sommer in Odessa“ einen Roman geschrieben, der mit viel Schwung, Leichtigkeit und Witz daherkommt.

Hinter dieser vordergründigen Lebendigkeit stecken jedoch viel Ernsthaftigkeit und Tiefgründigkeit.

Vergleichbar mit den politischen Verhältnissen im ganzen Land brodelt und köchelt es auch in Olgas Familie. Dieses Brodeln und Köcheln führt zumindest in Olgas Leben zu einer Entscheidung, mit der sie aus einer Enge ausbricht, die ihr zuvor die Sicht versperrt hat.

4/5⭐️

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