Echenoz, Jean: Unsere Frau in Pjöngjang

Die 34jährige attraktive Pariserin Constance wird im Auftrag des französischen Geheimdienstes entführt. Sie soll als Spionin die Schlüsselrolle bei der Destabilisierung Nordkoreas spielen, indem sie in Pjöngjang einen hochrangigen Politfunktionär verführt.

Was nach einem temporeichen Agententhriller klingt, entpuppt sich als recht sinnfreie, belanglose und überwiegend ergebnislose, aber höchst originelle, amüsante, unterhaltsame und lesenswerte Parodie auf den Spionageroman.

Der beobachtende und allwissende Erzähler erzählt unaufgeregt, fast im Plauderton und teilweise mit augenzwinkernder Ironie, subtilem Humor, Witz und Sarkasmus eine in sich schlüssige, kurzweilige und raffiniert komponierte Geschichte.
Er stellt eine persönliche Ebene her, indem er den Leser anspricht, ihm Fragen stellt, ihn miteinbezieht und sich mit ihm verbündet. Er greift antizipierte Gedanken und Einwände auf, kommentiert oder entkräftet sie. Wenn etwas fragwürdig erscheint, wischt er die Zweifel des Lesers mit den Worten: „…was in einem derart gut bewachten Land unwahrscheinlich wirken mag, aber wenn die Dinge sich so ereignet haben, kann ich ja nichts dafür.“ weg.

Der 285 Seiten lange Roman kommt leichtfüßig daher und ist in einer einfach verständlichen, aber schönen Sprache geschrieben.
Die Wirkung eines Ohrwurms beschreibt Echenoz z. B. folgendermaßen: „Und als hätte eine Mücke seinen Weg gekreuzt, wird ihn diese Melodie von nun an jucken und den ganzen Tag nicht lockerlassen.“
Vor dem geistigen Auge entstehen Bilder und Filmchen, die z. T. zum Schmunzeln anregen. Einen Mann beschreibt er mit folgenden Worten: „ …Er war massig, schmerbäuchig, sein dicker, ovaler Kopf saß auf einem ebenso dicken, ovalen Leib – ein Entenei auf einem Straußenei, ohne den Ansatz eines Halses dazwischen.“
Brutale Inhalte werden durch den legeren Ton ihrer erschütternden Wirkung beraubt.

Über das Innenleben und die Gefühlswelt der Protagonisten erfährt man wenig, bzw. nur das, was der scharf beobachtende und treffend beschreibende Erzähler vermutet. Diese Tatsache in Kombination mit seinem freundschaftlichen Plauderton führt dazu, dass man eher eine Verbindung mit dem Erzähler aufbaut, als dass sich eine Beziehung zum einen oder anderen Protagonisten entwickelt. Man wird selbst zum Beobachter des Geschehens.

Jean Echenoz erzählt eine belanglose Geschichte auf großartige Weise. Es geht ihm m. E. in seinem außergewöhnlichen Roman weniger um einen realistischen und interessanten Plot, um Wissenserweiterung oder um eine tiefgreifende Botschaft, als um Erzählweise, Sprache und um den Genuss daran. Das gelingt ihm meisterhaft. Die Lektüre lohnt sich! Sie ist originell, hat Sprachwitz und enthält einige Überraschungen und Pointen.

4/5⭐️

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