Geda, Fabio: Ein Sonntag mit Elena

Meine Eindrücke zu „Ein Sonntag mit Elena“ von Fabio Geda.

Brücken, die Orte verbinden und Brücken, die Menschen (wieder) einander näher bringen…

Brücken vereinen, überwinden und verknüpfen.
Gute Brücken regen dazu an, zu verzeihen und über seinen Schatten zu springen. (S. 148)

Der Roman mit dem ansprechenden Cover – ein Gedeck und eine Blumenvase auf einem Holztisch -spielt in Italien und wird aus der Ich- und allwissenden Perspektive der erwachsenen Tochter Giulia, einer Theaterregisseurin und Mutter von Zwillingen, geschrieben.

Kurz gesagt ist der Roman eine Familiengeschichte und geht es um Giulias Beziehung zu ihrem Vater.
Dieser reiste jahrzehntelang als Ingenieur durch die Welt, um seine geliebten Brücken zu bauen.
Nun ist er 68 Jahre alt und seit einigen Monaten Witwer.

Er hat beschlossen, im Gegensatz zu früher, den Wichtigkeiten ab jetzt mehr Aufmerksamkeit zu schenken als den Dringlichkeiten.
Ein weiser Entschluss, den er tatsächlich umsetzt.

Die Erzählerin Giulia hat noch zwei Geschwister.
Die ältere Sonia, Ehefrau, Mutter zweier Töchter und studierte Erziehungswissenschaftlerin und der jüngere Alessandro, Chemiker in Helsinki.

Der Vater plant, Sonia und ihre Familie zum Essen einzuladen. Er will sich zum ersten Mal in seinem Leben selbst an den Herd stellen und mit Hilfe der Anleitungen im dicken roten Rezeptbuch seiner Frau kochen.

Aber kein simples Gericht soll es werden, sondern traditionelle Lieblingsgerichte möchte er zaubern.
Natürlich ist er aufgeregt.
Natürlich befürchtet er, dass das Resultat ungenießbar sein könnte.

Das Menü ist fix und fertig und schmeckt tadellos – da kommt der enttäuschende Anruf:
Sonia sagt den Besuch ab, weil Rachele, ihre Tochter vom Baum gefallen ist und sich den Arm gebrochen hat.
Jetzt geht die Fahrt ins Krankenhaus anstatt zum Opa, der Frust, Enttäuschung und Sorge auf einem Spaziergang abbauen und in den Griff bekommen möchte.

Und da lernt der ehemalige Ingenieur die Mittdreißigerin Elena und ihren 13jährigen Sohn Gaston kennen. Elena, die gerade ihren Job verloren hat und Gaston, der endlich mal etwas anderes essen will als Tiefkühl-Tacos…

Ich möchte noch so viel verraten:
Es geht in diesem ruhigen und berührenden Band nicht nur um diesen Sonntag und um die Auswirkungen der Begegnung mit Elena.
Es geht noch um viel mehr.

Auf einmal steht z. B. ein Geheimnis im Raum. Warum sprechen zwei Menschen nicht mehr miteinander?

Und dann erfährt man von seltsamen, vielleicht sogar unwahrscheinlichen, aber eben doch möglichen Begebenheiten.
Jeder dieser beiden Menschen, die nicht mehr miteinander sprechen, trifft einen anderen unbekannten Menschen, der dem ähnelt, mit dem der Kontakt abgebrochen ist.
Diese Begegnungen bringen Gefühle und Sehnsüchte ans Tageslicht und wirken letztlich wie Brücken…

Die Erzählerin Giulia erzählt im Verlauf respektvoll und mit Zärtlichkeit, aber auch mit Enttäuschung und Gekränktheit aus dem Leben des anpackenden, gewissenhaften und selbstbewussten Vaters, der berufsbedingt manchmal wochenlang abwesend war und von der warmherzigen Mutter, einer Juristin, die ihren Beruf aufgegeben hat, um sich ganz der Familie zu widmen. Sie war der Fels in der Brandung und der sichere Hafen.

Giulia erinnert sich an die Beziehung der Eltern, an Episoden aus dem vergangene Familienleben und an gemeinsame Erlebnisse mit dem Vater, dem sie als Kind herzlich zugetan war und dessen Wertschätzung sie als Heranwachsende immer ersehnte und gleichzeitig vermisste.
Sie erzählt aber auch aus ihrem Leben und vom Alltag ihrer Geschwister.

Auf diese Weise taucht man immer mehr in die Dynamik der Familie ein und man bekommt einen immer besseren Eindruck vom Beziehungsgeflecht zwischen den Mitgliedern und davon, wie die einzelnen Personen, v. a. der Vater gestrickt sind.

Es geht hier weniger um Handlung als um Beschreibungen, Stimmungen, Gefühle, Erinnerungen und Reflexionen.

„Ein Sonntag mit Elena“ ist unterhaltsam und tiefgründig, sowie leicht und flüssig zu lesen. Außerdem gibt es immer wieder Passagen, die einen schmunzeln lassen.

Der Leser wird mit einer schönen Sprache, wunderbaren Formulierungen und Metaphern, die einen innehalten lassen, verwöhnt.

Zwei Beispiele dazu:
„Der Schreck, der hinter den Worten kauerte, war dennoch spürbar: man hörte ihn hecheln wie einen verletzten Fuchs.“ (S. 41)

„Wir fürchteten, der Vulkan, an dessen Hängen wir lebten, würde früher oder später ausbrechen, und hofften, dass uns zur schicksalhaften Stunde genug Zeit zur Flucht bliebe.“ (S. 51)

Ich empfehle den Roman, in dem dem Leser auf raffinierte Weise und mit schöner Sprache eine letztlich recht gewöhnliche Familie vorgestellt wird, gerne weiter.

4/5⭐️

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