Enright, Anne: Die Schauspielerin

Auf den ersten Blick geht es bei dem 304-seitigen Roman um den Aufstieg, den Alltag und den Niedergang der Schauspielerin Katherine O‘Dell, sowie um ihre Beziehung zu ihrer Tochter Norah.

Die inzwischen ca. 55-jährige Norah begibt sich, ausgelöst durch ein Interview, in dem sie zu ihrer Mutter befragt wird („Wie war sie wirklich?“) auf die Spuren ihrer vor einigen Jahren verstorbenen Mutter, versucht, ein Verbrechen nachzuvollziehen und Hinweise und Erklärungen zu finden, die ihren ihr unbekannten Vater entmystifizieren.

Und das alles, wie ich meine, um letztlich ihre eigene Geschichte zu rekonstruieren, Wahrheiten aufzuspüren und Antworten auf existentielle und möglicherweise noch unbewusste Fragen zu finden, sowie um tiefliegende und ambivalente Gefühle zu ergründen:

„War ich erwünscht und wurde ich geliebt?“

Schon zu Beginn werden wir mit einer Komplexität und Zweiseitigkeit konfrontiert, die uns aufzeigt, dass die Beziehungen und Leben dieser beiden Frauen alles andere als eindeutig und einfach waren.

Die Mutter Katherine wird einerseits als ganz normale Frau eingeführt, die Frühstück macht und Marmeladentoast isst.
Andererseits wird schon ganz zu Beginn deutlich, dass sie eine ganz besondere, außergewöhnliche und von allen bewunderte Frau ist, die bereits mit 45 Jahren verbraucht ist. Lebensstil, Tabak, Alkohol und Glamour haben ihre Spuren hinterlassen.

Schon auf den ersten Seiten befinden wir uns auf der Volljährigkeitsparty von Norah. Ein rauschendes Fest im Spätsommer 1973 mit hochkarätigen Gästen und Zeitungsreporter. Ein Fest, das ihr zu Ehren veranstaltet wird, auf dem sie allerdings nur eine Nebenrolle spielt. Die Hauptrolle spielt ihre theatralische Mutter.

Schnell wird klar, dass es nicht einfach ist, im Schatten einer solchen, von der Öffentlichkeit verehrten und häufig abwesenden Mutter zu stehen.
„Es war schwierig, einen eigenen Ton zu finden.“ (S. 11)
Sie war nur eine schlechte Kopie ihrer zeitlosen Mutter. (S. 18).
Gleichzeitig war Norah wohl das Beste, das ihrer Mutter passieren konnte.
„…und ich wusste, ich war ihr geheimes Glück.“ (S. 19).
War das so?
Und war ebendies auch Norahs Glück?

Schon sehr früh wird angedeutet, dass die Schauspielerin psychiatrisch erkrankte und schon am Ende des ersten Kapitels erfährt man, dass sie 1980 den irischen Filmproduzenten Boyd O‘Neill in den Fuß geschossen hat, weshalb sie verhaftet, verurteilt und in eine forensische Psychiatrie eingeliefert worden war.
Dass sie erst nach drei Jahren mit psychiatrischer Festmedikation, gealtert und unheilbar krank entlassen wurde und drei Jahre später starb, bleibt kein Geheimnis.

Das alles und noch viel mehr erfahren wir über diese beiden vom Leben gezeichneten Frauen, ihre Beziehung zueinander und ihre Affären.

Wir bekommen auch einen Einblick in das jetzige Leben Norahs und erfahren, dass sie ihren leiblichen Vater nie kennengelernt hat.

Immer wieder stolpert man über wunderschöne Formulierungen, was mich anfangs darüber hinwegtröstet, dass Inhalt und Schreibstil mich nicht packen.
Der Satz „Ihre blühende, der Dummheit so nahen Intelligenz.“ (S. 27) lässt mich schmunzeln und die Formulierung: „Beide waren auf dramatische Weise gutaussehend und in der Lage, durch einfaches Stillhalten zu übertreiben.“ (S. 38) musste ich mehrmals lesen.

Aber dieser Trost hatte nicht die Kraft und das Gewicht, meine Leselust und mein Lesevergnügen anzukurbeln.

Ich empfand den Roman als eine wenig chronologische Aneinanderreihung von Erinnerungen, Szenen, Fakten und Gedanken.

Er las sich für mich nicht wie eine flüssige Geschichte, in die ich mich hineinfallen lassen konnte, sondern wie ein Bombardement mit Informationen, dem ich aufmerksam und konzentriert lauschen musste und das mich z. T. langweilte.
Das Erzähltempo war mir zu schnell, der Schreibstil zu nüchtern.
Mir fehlten die Emotionen und der Blick in das Innenleben der Personen.

Irgendwie war das Ganze für mich ein bisschen verwirrend, zu dicht und zu überladen.
Die Geschichte übte bis zuletzt keinen wirklichen Sog auf mich aus. Sie hat mich nicht erreicht, gepackt oder gefesselt. Sie war anstrengend, aber die Anstrengung hat sich für mich nicht gelohnt.

Im Verlauf der Lektüre bekam ich immer mehr den Eindruck von einem Puzzle.
Die Ich-Erzählerin schiebt einzelne Puzzleteile zusammen und am Ende entsteht ein ganzes Bild.
Manchen Lesern mag das sehr gut gefallen. Mir ist das zu unruhig, zu wenig zusammenhängend und zu wenig stringent.

„Die Schauspielerin“ ist eine interessante Geschichte mit reizvollen Themen, aber für meinen Geschmack nicht gut umgesetzt.

2,5/5⭐️

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