Mason, Daniel: Oben in den Wäldern

Der Roman von Daniel Mason ist unterhaltsam, spannend, originell, abwechslungsreich und regt zum Nachdenken an.

Es geht darin um das Schicksal eines Hauses und seiner Umgebung „oben in den Wäldern“ von Massachusetts sowie um die Geschichte seiner Bewohner über Generationen hinweg vom 18. bis ins 21. Jahrhundert.

Der Beginn der Zeitreise:

Ein junges Pärchen auf der Flucht vor den Dorfbewohnern einer englischen Kolonie in Massachusetts.

Er – einer, von dem man ihr abriet.

Sie – eine, die bereits einem „Pfarrer, der doppelt so alt war wie sie und dessen erste Gemahlin im Wochenbett gestorben war“ versprochen war.

Die Verliebten heiraten ganz unkonventionell auf ihrer Flucht. Auf einer Lichtung. Ihre Trauzeugen: Flora und Fauna.

Und dann fand er auf einer Lichtung unterhalb eines Berges einen Ort, um eine Hütte aus Holz und Stein für sich und seine Frau zu bauen.

Jahrzehnte später:

Ein Indianer-Überfall auf ein Dorf in der englischen Kolonie in Massachusetts.

Gewalt.

Morden.

Kidnapping.

Eine junge Mutter mit Säugling erzählt von dem schrecklichen Ereignis, bei dem ihr Mann und viele Verwandte niedergemetzelt wurden.

Die junge Frau wird mit ihrem Baby zu der Hütte auf der Lichtung unterhalb des Berges gebracht, wo ihr ein altes Weib öffnet.

Aber auch diese 3 Menschen, die junge Frau, das alte Weib und das Baby, sind nicht die letzten Bewohner der Hütte.

Die alte Frau kommt ums Leben, die beiden anderen müssen flüchten.

Eines Tages kommt ein britischer Major zu der inzwischen maroden Hütte in Neuengland.

Er ist Witwer, hat 2 Töchter, die vierjährigen Zwillinge Alice und Mary, und sucht einen Ort, um dort seinen Traum – den Anbau von Äpfeln – zu verwirklichen.

Und welcher Ort könnte geeigneter sein, als dieser?

Denn hier wächst bereits ein Apfelbaum mit wohlschmeckenden Früchten.

Und in kurzer Zeit wird in dieser abgelegenen Gegend in den Wäldern von Massachusetts ein Haus mit zitronengelber Fassade errichtet und ein Brunnen angelegt. Die ehemalige Hütte wird renoviert und mit dem neuen Gebäude verbunden.

Der Apfelbaum wird die Mutter der bald entstehenden und prächtig gedeihenden Apfelplantage.

Ein Vierteljahrhundert später muß der Witwer in den Krieg ziehen… Zurück bleiben seine beiden Töchter, um die es im nächsten Kapitel geht.

Wir erfahren dabei Vieles von ihrem Alltag und von ihrer nicht immer einfachen Beziehung zueinander.

„Falls das Leben, wie der Volksmund sagt, ein Lied ist, dann war das der Schwestern mehr Refrain denn Strophe.“

Und doch, bei allem Immergleichen, ist dieses Leben der zauberhaften Alice und der gescheiten, schlauen und vernünftigen Mary mehr als erzählenswert.

Wundervolle Naturbeschreibungen. Poetische, manchmal fast zärtliche, nie kitschige Sprache.

Etwas ganz Besonderes!

Auch nach dem Tod der Schwestern steht das gelbe Haus nicht leer.

Eines Tages kommt der unter dem Deckmäntelchen des Versicherungsvertreters reisenden Phalen nach Massachusetts, um gegen horrendes Honorar für einen Plantagenbesitzer aus Maryland die entlaufene 18-jährige Sklavin Esther mit ihrem Säugling zu finden.

Der Zufall bringt ihn zu dem gelben Haus, das von Apfelbäumen umgeben ist und in dem Esther sich versteckt.

Dann kommt der Maler William Henry Teale in das Haus. Er will es renovieren lassen und anschließend seine Frau Katherine und ihre gemeinsamen Kinder nachholen.

Er interessiert sich für die Geschichte des gelben Hauses – für seine ehemaligen Bewohner und er schreibt regelmäßig Briefe an seinen Freund, in denen er ihm von seinem Alltag erzählt und seine Gedanken anvertraut.

Mit 75 Jahren lebt William schließlich allein in dem Haus. Seine Tochter engagiert ihm eine 54-jährige Haushaltshilfe, die er ihrer Meinung nach aufgrund eines gebrochenen Beines vorübergehend brauchen wird, aber der Haushälterin ist schnell klar, dass er ein pflegebedürftiger und gebrechlicher alter Mann ist, der nicht mehr ohne Unterstützung leben kann.

Ich flog durch die Seiten, immer gebannt vom Leben der gegenwärtigen Bewohner des Hauses und gleichzeitig gespannt auf die nächsten Menschen, die dort leben würden.

Und nun, Anfang des 20. Jahrhunderts, William ist vor sieben Jahren verstorben, leben Mr. und Mrs. Farnsworth mit ihrer Tochter Lilly dort. Das Ehepaar hat die extravagante Anastasia um eine Séance gebeten, weil Mrs. Farnsworth seit neuem Geister hört, die das Medium mit seiner spiritistischen Kraft austreiben soll.

Die Geisterbeschwörerin heißt eigentlich Edith, ist eine ausgezeichnete Beobachterin und erntet üppiges Honorar für ihre Auftritte.

Die Tochter Lillian erbt das Haus eines Tages. Nach der Trennung von ihrem Mann zieht sie von Boston dorthin. Sie lebt nun dort mit ihrem schizophrenen Sohn Robert, ihrer Tochter Helen und dem finnischen Dienstmädchen.

Das waren bereits viele, aber bei weitem nicht alle Geschichten, in die man während der Lektüre eintaucht. Sie werden sehr unterschiedlich erzählt. Aus verschiedenen Perspektiven, in Briefform oder als Zeitungsbericht.

Manchmal wird es auch ein bisschen phantastisch, was aber mein Lesevergnügen nicht minderte. Alles ist im Fluss. Der Lauf der Geschichte, das Diesseits und das Jenseits. Alles ist ein Kreislauf. Alles ist miteinander verwoben.

Was für ein wunderschöner und tröstlicher Satz: „Sie hat festgestellt, dass man nur auf zweierlei Weise die Welt sehen kann: als Geschichte des Verlusts oder als Geschichte des Wandels.“

Ich empfehle den Roman sehr gerne weiter.

Den halben Punkt Abzug gebe ich, weil ich die spooky Elemente nicht unbedingt gebraucht hätte.

4,5/5⭐️

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