Müller, Anne: Zwei Wochen im Juni

Der Roman beginnt sehr vergnüglich mit der Autofahrt einer vierköpfigen Familie und einem witzigen Spiel zum Zeitvertreib, das wie maßgeschneidert zu den beiden Töchtern Ada und Toni auf dem Rücksitz passt und sowohl die Rivalität der Schwestern als auch deren Zuneigung und Verbundenheit veranschaulicht. Diese Anfangsszene zeigt eine Sequenz aus einem „ganz normalen“ Familienleben.

Dann ein Zeitsprung:
Wieder eine Autofahrt.
Dieses Mal fährt die jüngere der beiden Schwestern, Ada, mit ihrem Auto von Hamburg in ihre Heimat nach Schleswig Holstein in ihr Elternhaus an der Ostseeküste.

Ihre 73jährige Mutter ist vor sechs Wochen verstorben. Die beiden Schwestern wollen sich im Haus treffen, um auszumisten und es zu verkaufen.

Im Verlauf lernen wir die beiden Schwestern, Ihre Eigenarten, Gedanken und Gefühle immer besser kennen.
Darüber hinaus bekommen wir auf abwechslungsreiche Weise einen wunderbaren Einblick in deren Familiengeschichte.
Anhand von Erinnerungen und Briefen, aber auch durch einen Schulaufsatz erwacht die Vergangenheit zum Leben und es werden sowohl tiefgründige Gespräche als auch witzige Unterhaltungen geführt. Geheimnisse kommen ans Licht und nach und nach entsteht aus vielen Puzzleteilen das Bild einer Familie.

Der ruhige und unaufgeregte Erzählstil gefiel mir gut.
Anne Müller erzählt von einem eigentlich unspektakulären, „ganz normalen“ Leben auf feinfühlige, einfühlsame, unaufdringliche und warmherzige Art und Weise.

Ein schöner und, wie ich meine, kluger und wahrer Satz, der sich auf viele andere Bereiche übertragen lässt, ließ mich innehalten: „… Die Leute hören meiner Meinung nach Musik immer viel zu laut und verwechseln Lautstärke mit Intensität. Das Gegenteil ist der Fall, das Leise ist immer das Intensivste, die in piano oder pianissimo gespielten Stellen berühren die Menschen im Publikum am meisten, da stockt kollektiv der Atem.“ (S. 211) – auch der Roman kommt leise daher.

Vor dem geistigen Auge erwachen sowohl die Schwestern als auch die Orte und die vielen unterschiedlichen Situationen im Hier und Jetzt, sowie in der Vergangenheit zum Leben.

Alles wirkt sehr natürlich, nachvollziehbar und lebensnah.

Der Roman entwickelt schon bald eine Sogwirkung und man wird neugierig darauf, wie es weitergeht.

Ganz im Gegensatz zu früheren Rezensionen möchte ich hier noch ein paar Takte zur Aufmachung des Buches loswerden.
Das Buch kommt schlicht und elegant daher, worin sich Liebe zum Detail ankündigt und wodurch symbolisiert wird, was einen bei der Lektüre erwartet:
Da schreit dem Leser nichts entgegen, obwohl das helle Blau die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Gerade das Dezente und Unspektakuläre wirkt anziehend und macht neugierig. Schon in der Farbenwahl blieb, so scheint es mir, nichts dem Zufall überlassen. Die Farbe Blau spielt immer wieder eine Rolle im Buch und wird im Buchumschlag aufgegriffen:
Als Ada die Todesnachricht von ihrer Mutter erhält, mischt sie gerade einen Blauton zusammen.
Toni schenkt ihrer Mutter zum 70. Geburtstag eine blaue Kaschmirjacke.
Das Blau des Meeres.
Die blauen Augen von Toni und der Mutter.
Auch der Orangeton der 70er Jahre findet im Buchumschlag seinen Widerhall.

Das mag für manche Leser unbedeutend sein. Ich selbst achte nie bewusst auf solche Dinge. Und genau deshalb erwähne ich es hier: weil es mir regelrecht ins Auge sprang und imponierte.

Für mich war der Roman „Zwei Wochen im Juni“ eine unterhaltsame, berührende und herzerwärmende, aber keineswegs seichte Urlaubs- und Sommerlektüre. Die Zeit mit dem Buch machte mir Spaß, auch wenn es sicherlich keine hohen literarischen Ansprüche befriedigt.
Manche Passagen bargen die Gefahr, ins schnulzig-kitschige abzugleiten, aber Anne Müller hat diese Gefahren gut umschifft.

4/5⭐️

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