Christoph Schwyzer nimmt uns in ein Schweizer Altersheim mit und stellt uns nach und nach seine Bewohner vor.
Sepp empört sich gleich zu Beginn darüber, dass er zu seinem 90-sten Geburtstag statt der erwarteten Wein- oder Schnapsflasche nur ein Anti-Schuppen-Shampoo bekommen hat.
Für Frau Bebiers Herz ist die nachmittägliche Fernsehsendung „Sturm der Liebe“ genauso überlebenswichtig wie die morgendlichen Tabletten.
Glücklicherweise hat Frau Herger ihren Kummer, der sie regelmäßig besucht, um ihr Gesellschaft zu leisten.
Elvira und Arnoldo bekommen sich beim Mittagessen immer wieder wegen den lästigen Fliegen in die Haare.
Viola hütet ihre Sammlung aus aufwändig bestickten, kunstvoll bedruckten und zierlich umhäkelten Stofftaschentüchern wie einen Schatz und jedes Mal, wenn ihr Sohn sie besucht, schenkt sie ihm eine dieser Kosbarkeiten.
Frau Neuweg erzählt, wie sie ihren bereits verstorbenen Ehemann kennengelernt hat und ist der Meinung, dass Liebe kein Gefühl, sondern eine Haltung und eine Frage des Willens ist.
Freu Groß erinnert sich an ihre schlagfertige Mutter, die immer das letzte Wort hatte und Alois erzählt, dass er einmal ein kleines miauendes Kätzchen aus einem Abfallcontainer befreit hat.
Das sind nur einige wenige Beispiele für die Bekanntschaften , die wir während der Lektüre machen.
Wir lauschen den Erinnerungen und erfahren Anekdoten aus dem Leben vieler verschiedener Senioren.
Manche der Alten sind schroff und barsch, andere freundlich und liebevoll. Manche sind noch sehr klar, andere schon schon etwas verwirrt bzw. mehr oder weniger dement. Viele sind schwerhörig, manche hören das Gras wachsen. Manche sind zynisch, ironisch oder sarkastisch.
Es ist, als spaziere man als stummer Beobachter durch das Heim.
Währenddessen darf man Blicke in die Zimmer der Bewohner werfen und erfährt man so manches aus ihrem Alltag, aus ihrer Vergangenheit und aus ihrer Gedanken- und Gefühlswelt.
Manche Zimmer sind kahl, manche voll gestellt mit Erinnerungsstücken. Aus manchen Zimmern dringt ohrenbetäubender Lärm vom Fernseher, in anderen ist es mucksmäuschenstill.
Wir dürfen sogar einen Blick in das Tagebuch von Rita werfen.
Christoph Schwyzer reiht Portrait an Portrait, Geschichte an Geschichte, Anekdote an Anekdote.
Er erzählt lebendig, kurzweilig und bildhaft.
Manches ist rührend und berührend, manches humorvoll, amüsant und schräg, anderes ist ironisch, ernst, tragikomisch, wehmütig, traurig oder deprimierend. Manches ist auch empörend.
Aber nie wird es kitschig. Der Autor macht sich niemals lustig, sondern beschreibt den Alltag und die Bewohner eines Altenheims offen, ehrlich und mit Respekt
Viele der Texte gefielen mir außerordentlich gut, mache „musste“ ich sogar zweimal lesen. Es gab natürlich auch Texte, die mich gar nicht erreichten und mit denen ich nichts anfangen konnte. Das ist aber bei dieser Vielzahl an Portraits auch gar nicht anders zu erwarten.
Am liebsten mochte ich die Geschichten von Frau Stähli und ihrem Seelsorger, vom ehemaligen Metzger Kari und seinen Gedanken zum Tod, von Herrn Meyer, der mit zwölf zum Vegetarier wurde, von Frau Künzli, die eines Tages ihre Filzfinken zerschnitt, von Frau Schwegler auf ihrer Insel und von Herrn Kalbermatten und seinen Büchern!
Christoph Schwyzer hat ein äußerst vielseitiges und buntes Bild gemalt, das sämtliche Empfindungen beim Leser hervorruft und der Realität eines Seniorenheims absolut entspricht.
„Der Staubwedel muss mit“ ist ein unterhaltsames und zum Nachdenken anregendes, lesenswertes Lesevergnügen, das auf einer originellen Idee, nämlich der Aneinanderreihung von Portraits, beruht.
Für mich war es kurzweiliger und nachhaltiger, immer mal wieder ein paar kurze Texte zwischendurch, als sehr viele Seiten am Stück zu lesen, damit die Portraits nicht ineinander verschwimmen und Aufnahmefähigkeit und Freude an der Lektüre nicht nachlassen.
Zum Abschluss meiner Rezension möchte ich das wunderbare Porträt von Herrn Kalbermatten zitieren, das Buchliebhabern und Lesebegeisterten gefallen wird:
„Lückenlos verschwinden die Wände hinter Büchergestellen. Ohne Bücher wäre sein Zimmer ein Sarg und er kein Mensch, sondern nur ein frierender Körper. Bücher sind Wärmespeicher. Buch reiht sich an Buch. Bücher quer in jeden noch so kleinen Schlitz geschoben, in jede Lücke, in jede Ritze gesteckt; Bücher tragen die Decke, tragen durch das Leben. Bücher bringen Bücher zur Welt. Jedes trägt einen Namen, beginnt, wenn er es aus dem Regal zieht und aufschlägt, ihm seine Aufmerksamkeit schenkt, zu sprechen. Bücher führen ihn in die Höhe, zu den schönsten Aussichtspunkten, sie halten ihn in Bewegung; Satz für Satz entfaltet sich eine Kraft, die ihn antreibt, über das Geschriebene hinauszugehen und seine eigene Wahrheit zu finden. Denn die Wärmekraft eines Buches ist immer das, was zurückbleibt, wenn das Buch zugeschlagen wieder im Regal steht – und er in einer Atmosphäre des Schweigens dem Gelesenen nachspürt.“ (S. 59)
4/5⭐️
🇨🇭
Ja, das ist eine wunderbare Vorstellung! Tolino, und Co haben durchaus ihre Berechtigung und ich möchte meinen nicht missen, aber so eine Wohlfühlen-Atmosphäre kriegt man nur mit echten 📚Büchern📚 hin😂
Genau so wünsche ich mir mein Zimmer im Altersheim, sollte ich in hoffentlich weiter Zukunft einmal umziehen müssen. Das könnte ein Tolino u.ä. nie ersetzen! Und ein wenig so ist es auch schon jetzt in diesen erzwungen kontaktlosen Zeiten.