Goebel, Joey: Irgendwann wird es gut

Das 305 Seiten lange Buch wird eigentlich, auch vom Autor selbst, als Kurzgeschichtenband bezeichnet, aber ich empfand es eher als Roman. Als tiefsinnigen, melancholischen und sehr berührenden Episodenroman, der basale psychologische Themen feinfühlig behandelt.

Die Abfolge der zehn Kurzgeschichten hatte für mich aus vielen Gründen etwas romanhaftes:
Sie spielen alle im gleichen Jahr in den 1990ern in der gleichen Kleinstadt in Kentucky/USA.
Die Lebenswege mancher Protagonisten kreuzen oder überschneiden sich, deren Geschichten verknüpfen sich oder deren Themen ähneln oder wiederholen sich.
Auf die eine oder andere Art sind viele der Protagonisten miteinander verbunden.
Unterschiedliche, verloren wirkende, einsame und meist psychisch belastete oder angeschlagene und gleichzeitig liebenswerte Charaktere, die sich von ihren Mitmenschen wie abgeschnitten fühlen und die mit ihrer Kleinstadt auf Kriegsfuß stehen, werden eine Zeitlang begleitet und verschiedene existentielle Themen werden fokussiert.
Die Geschichten driften dabei nie in Klischees oder Kitsch ab.
Manche Erzählungen sind etwas skurril, keine hat ein offenes Ende und nicht alle ein happy end. Und wenn, dann schon gar keines à la Hollywood.

Es machte mir Spaß, die verschiedenen Bewohner des Städtchens eine Weile zu begleiten.
Der Leser lernt Anthony kennen, der sich jeden Abend auf ein Gläschen Whisky mit seiner angebeteten Nachrichtensprecherin Olivia in seinem Wohnzimmer trifft.
Und da sind eine Mutter und ihr Sohn, die nach einem Schicksalsschlag in einer destruktiven Symbiose zusammenleben.
Auch Luke wird eine Zeitlang begleitet. Ein Heranwachsender, der seine Band als Sprungbrett dafür sieht, aus dem langweiligen Nest herauszukommen und sich selbst und seinen Weg zu finden.
Und das sind nur einige Beispiele.

Ich finde es beeindruckend, dass und wie der Autor es schafft, den Leser in Windeseile mitten in ein unbekanntes Leben hineinzukatapultieren. Im Handumdrehen lernt man die Protagonisten, deren Gedanken und Emotionen tiefgründig kennen, fühlt sich ihnen nahe und kann sich in sie hineinversetzen und mit ihnen mitfühlen.
Es ist fast so, als ziehe man in eine fremde Stadt und lerne nach und nach deren Bewohner kennen. Aber eben nicht nur oberflächlich.
Und wenn man einem bekannten Namen oder einer bekannten Person wieder begegnet dann freut man sich darüber.

Joey Goebel gelingt es, dem Leser einen berührenden Einblick in die innere und äußere Lebenswelt seiner Protagonisten zu geben und man bekommt eine Idee davon, welche Entwicklungsbedingungen und Lebensereignisse sie zu dem gemacht haben, wer und was sie sind.

Nach der fesselnden Lektüre der Erzählungen kann man einfach nur die Schlüsse ziehen, dass der Autor weiß, wovon er schreibt und dass hinter der oft angepassten und unauffälligen Fassade ein jeder sein Päckchen zu tragen hat.
Joey Goebel, der eine sehr feine und scharfsinnige Beobachtungsgabe hat und seine Beobachtungen wunderbar in Worte fassen kann, vermittelt, dass es wichtig ist und sich lohnt, näher hinzuschauen. Dass es wichtig ist, die Hoffnung nicht zu verlieren und daran zu glauben, dass, wie der Titel schon sagt, irgendwann alles gut wird.

4/5⭐️

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.